Im vergangenen Jahr gab es hierzulande eine Vielzahl sozialer Proteste. Massendemonstrationen gegen Sozialabbau und die Agenda 2010, Montagsdemos gegen Hartz und zahlreiche Streiks mobilisierten zehn Tausende Menschen. Fester Bestandteil dieser Proteste waren wie vielerorts auch in Stuttgart ausdrücklich klassenkämpferische Mobilisierungen, die unter anderem mit Nachdemonstrationen, eigenen Blöcken und Aktionen auftraten. Dies ist mehr als notwendig. Denn das inzwischen schier spurlose Verschwinden der genannten Protestbewegungen zeigt offensichtlich, dass es ihnen vor allem an einem fehlt: an Perspektiven.
Dies ist kaum verwunderlich; Jahrzehnte der Propaganda vom Kapitalismus mit menschlichem Antlitz und die massiven Befriedungsbemühungen der Gewerkschaftsspitzen hinterlassen ihre Spuren. Trotz der Massenaktionen überlagern nach wie vor unmittelbare Existenzängste und Alltagssorgen, Konkurrenzdenken und individuelle Lösungsversuche ein gemeinsames Klassenbewusstein und kollektives Handeln.
Die Massenproteste im letzten Jahr ermöglichten an einzelnen Punkten einen Schritt nach vorne zu gehen; sie führten vielen Menschen vor Augen, dass sie sich in einer gemeinsamen Situation befinden. Einzelne Streiks machten Schritte zur Eroberung selbstbestimmter Kampfmittel, wie etwa der Blockade einer Bundesstrasse bei Stuttgart usw. Deshalb begrüssen wir die Mobilisierungen und sehen die Aufgabe aller Revolutionärinnen und Revolutionäre darin, sie mit allen Mitteln voranzutreiben.
Wer von den Protesten eine spontane Radikalisierung vieler Menschen erwartete musste aber genauso enttäuscht werden wie derjenige, der sich ein Zurückschlagen der Reformen von ihnen erhoffte. Ein klassenkämpferisches Bewusstsein kann sich nur in einem längerfristigen praktischen Lernprozess bilden. Dieser Lernprozess setzt voraus, dass verschiedene soziale Proteste zueinander finden und ihre Ziele und Mittel selbst bestimmen. Wie kein anderer Tag steht der 1.Mai für die Kontinuität dieses Unterfangens. Er steht für uns symbolisch für einen selbstbestimmten Kampftag, an dem wir ohne konkreten Anlass von aussen unsere Perspektiven auf die Strasse tragen.
Diese Perspektiven reichen natürlich über Tagesforderungen und kämpferische Streiks hinaus. Sie erschöpfen sich nicht in Phrasen von sozialer Gerechtigkeit und zielen nicht auf das unrealisierbare Projekt eines menschlichen Kapitalismus. Vielmehr geht es uns konkret um die Abschaffung des profitorientierten Ausbeutungsbetriebes und um eine fundamentale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Wir dürfen uns diesbezüglich nicht täuschen lassen: die Propagierung einer revolutionären Gesellschaftsänderung ist nicht trotz, sondern gerade in scheinbar schwierigen Zeiten unsere Aufgabe. Je entschlossener wir diese Aufgabe angehen und je lebendiger unsere Kämpfe werden, desto offensichtlicher wird dies längerfristig werden.
Weltweit sind gegenwärtig zahlreiche und äusserst unterschiedliche Organisierungen zu beobachten. Diese sind so vielfältig wie die objektiven Bedingungen, in denen sie sich organisieren. Vom erfolgreichen Guerillakampf in Nepal zu Selbstorganisierungen in den Armenvierteln Südamerikas, von militanten Massenstreiks in Spanien zu Reorganisierungsversuchen der kommunistischen Bewegung in Italien; all diese Entwicklungen haben eines gemeinsam: sie zeigen, dass es eine praktische organisatorische Alternative zum “friss oder stirb” der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse gibt.
Die Geschichte, die uns in den Schulbüchern und Medien von den Herrschenden täglich vorgesetzt wird ist nicht unsere Geschichte. Dort wird aktuell nicht nur die Befreiung vom Nazifaschismus mit seinen Massenvernichtungslagern zu einer nationalen Tragödie umstilisiert. Dort wird auch der Teil der Geschichte verschwiegen, der uns zeigt, dass es nicht immer so war wie es ist und dass es an uns liegt, dass es anders wird. Vor weniger als 90 Jahren, im November 1918 wehte während der Novemberrevolution auch über Stuttgart die Rote Flagge, gehisst vom Stuttgarter Arbeiter- und Soldatenrat, getragen von den Tausenden Demonstranten, die aus allen möglichen Fabriken und Werkstätten Stuttgarts zusammengekommen waren. Dass die Revolution geschwächt vom Krieg und inneren Widersprüchen im Kugelhagel rechter Truppen fiel ist eine Tatsache aus der wir lernen müssen; genauso wie wir aus jedem bisher gemachten revolutionären Versuch lernen müssen.
Der revolutionäre 1.Mai steht für die Kontinuität einer Position, die die Existenz einer Gesellschaftsordnung nicht akzeptiert, die für die absolute Mehrheit der Weltbevölkerung für Krieg und Ausbeutung steht, einer Profitmaschinerie, die in ihrer heutigen Dimension die Existenz des Menschen selbst gefährdet. Dabei geht es nicht um die ritualisierte Wiederholung linker Allgemeinplätze, sondern um das konkrete Aufzeigen einer gesellschaftlichen Alternative.
Denn wie Brecht auf unserem Mobilisierungsplakat sagt:
Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?
Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen
Und aus niemals wird: Heute noch!
Deshalb:
Weiter im Klassenkampf gegen Sozialabbau und Ausbeutung!
Für die Revolution!