30 Jahre Todesnacht in Stammheim und die makabre Geschichtsschreibwut der Herrschenden
Am 18. Oktober 1977 wurden die drei Gefangenen aus der RAF Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe tot und Irmgard Möller durch Messerstiche schwer verletzt in ihren Zellen im Hochsicherheitstrakt in Stuttgart-Stammheim aufgefunden. Bis heute sprechen in allen Fällen zahlreiche Indizien gegen die offiziellen Selbstmordversionen (ausführliche Fakten dazu in den unten verlinkten Texten und im Buch “Stammheim” von Pieter Bakker-Schutt).
In Mogadischu stürmte zuvor die GSG9 ein Flugzeug, das zur Erzielung der Freilassung der RAF-Gefangenen von palästinensischen AktivistInnen entführt worden war.
Das RAF-Kommando Siegfried Hausner erschoss am 19. Oktober, nach Bekanntwerden des Todes der drei RAF Gefangenen, den ehemaligen SS-Untersturmführer und damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer. Er war zuvor entführt worden, um die Gefangenen aus der RAF im Austausch zu befreien.
Zum 30. Jahrestag dieses sogenannten Deutschen Herbstes wurden und werden momentan immer noch unzählige entpolitisierende Bücher, Filme und Zeitungsartikel veröffentlicht. In der Bild-Zeitung und im Spiegel, auf Veranstaltungen mit den Schreibtischtätern von damals und heute, in Talkshows und Spielfilmen – bis hinein ins Theater nutzt das Bürgertum jede zur Verfügung stehende Bühne um seine Sicht auf den revolutionären Widerstand im allgemeinen und auf die RAF im besonderen zu vermitteln. Kaum eine Lüge ist ihnen dabei zu peinlich, keine These zu absurd. Während es sich laut den einen schlicht um “unpolitische Kriminelle” handelte, ziehen andere gar Vergleiche die bis hin zur Gleichsetzung mit den Nazis reichen (etwa der “RAF-Experte” Aust). Nicht der barbarische Krieg der USA und ihrer deutschen Unterstützer in Vietnam, auch nicht die Repression gegen die kommunistische linke Bewegung in der BRD sollen Gründe für die RAF gewesen sein, den bewaffneten revolutionären Kampf aufzunehmen. Höchstens zweitrangig soll auch die Tatsache gewesen sein, dass die alte Nazi-Elite längst wieder hohe Posten innehatte und mit Duldung, wenn nicht mit Hilfe, der Sozialdemokratie ihre faschistischen Methoden nach Lateinamerika und Asien zur Niederschlagung von Befreiungsbewegungen und sozialen Protesten exportierte. Nicht Aufrüstung und politische Prozesse, nicht Gleichschaltung der Medien und Einschränkung der Freiheitsrechte und schon gar nicht die Perspektive einer Welt ohne Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung… Stattdessen werden die Familienverhältnisse der RAF-AktivistInnen und ihre “Mordlust” aufgeführt – wenn überhaupt nach Gründen “gesucht” und nicht ausschließlich die Wahrnehmung der Herrschenden dargestellt wird. So erfahren wir, dass Baader in einem Frauenhaushalt aufwuchs und sich eigentlich (bis hin zu seinem Tod in Stammheim!) nur selbstdarstellen wollte. Wir erfahren, wie schwer es die Schreibtischtäter, Kriegstreiber und tatsächlichen Mörder hatten und dass die kapitalistischen Verhältnisse ganz allgemein, vielleicht nicht perfekt, aber doch das Bestmögliche sind.
Es bleibt die Frage, wer von denjenigen, die uns aktuell mit all den Weisheiten zur RAF überfluten, deren Politik nicht begriffen hat oder sich mit ihr nicht auseinandersetzte – und bei wem die Hetze gar Methode hat. Fest steht, dass sie sich ganz offensichtlich nicht auf den Boden einer sachlichen Debatte wagen. Es geht seit jeher dabei um nichts als eine Verteufelung der RAF und eine Positionierung auf Seite des Staates – nicht um eine sachliche politische Auseinandersetzung. Doch wer kann ihnen schon übel nehmen, dass sie sich nicht auf dieses Glatteis begeben, auf dem sie nur zu Fall kommen können: Man muss kein Kommunist sein um zu begreifen, dass die Anschläge der RAF auf US-Stützpunkte nicht vergleichbar sind mit den hunderttausenden Toten durch die Kriege der westlichen Staaten, die Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik in der BRD nicht mit den Folgen von deren Politik in der ganzen Welt, die Anschläge auf die Repressionsbehörden nicht vergleichbar sind mit deren systematischen Angriffen und Morden an linken AktivistInnen.
Wir sind also nicht verwundert über die aktuelle hysterische Hetze, die pseudopsychologischen Deutungen, die möchtegern-moralischen Selbstdarstellungen, die aufgebauschten Banalitäten und die Lügengeschichten. Sie sind der Ausdruck der bürgerlichen Ideologie, der Weltanschauung derjeniger, deren politisches System seine wahre Fratze längst gezeigt hat und das sich durch die penetrante Verbreitung ebensolcher Darstellungen auf der einen und durch direkte Gewalt wie Kriege und Repression auf der anderen Seite aufrechterhält.
Nach vorne blicken ohne zu vergessen
Es geht uns momentan nicht darum, für uns als politische Organisation konkrete Konsequenzen im Bezug auf den bewaffneten Kampf herzuleiten. Wir gehen von einer Situation aus, in der ein langwieriger und schrittweiser (Wieder-) Aufbauprozess der kommunistischen revolutionären Linken in der BRD zunächst auf verschiedenen Ebenen stattfinden muss. Unseren Teil sehen wir dabei in der (mehr oder minder) legalen und öffentlichen politischen Arbeit.
Dennoch gehen wir davon aus, dass für jeden revolutionären Prozess eine Beschäftigung mit den Fragen des bewaffneten Kampfes und den Erfahrungen der Stadtguerilla unabdingbar ist – noch nie hat schließlich eine herrschende Klasse ihre Macht freiwillig abgegeben und noch nie war eine Umwälzung der Verhältnisse ohne eine organisierte bewaffnete Kraft erfolgreich. Daher sehen wir es durchaus als unsere Aufgabe an, zur Beschäftigung mit den praktischen Erfahrungen dahingehend und den unterschiedlichen Organisierungskonzepten anzuregen.
Zur Beschäftigung anregen heißt dabei allerdings ausdrücklich nicht, zu behaupten eine Aufarbeitung dieser Erfahrungen hätte unsererseits oder allgemein schon stattgefunden und müsste nur übernommen werden. Gerade in der BRD ist die Geschichte (selbst innerhalb der Politik der RAF) nicht von Kontinuität, geschweige denn einer kontinuierlichen Weiterentwicklung geprägt, sondern muss heute Stück für Stück aufgearbeitet werden. Es geht uns folglich weder darum, eine abgeschlossene Positionierung zu liefern, noch einen kritiklosen oder romantisierenden Rückblick gut zu heißen. Genau so falsch wäre allerdings ein komplettes Verwerfen der Konzeptionen oder die schlichte Behauptung diese seien überholt. Wer die herrschenden Verhältnisse nicht akzeptieren, sondern ernsthaft für eine befreite Gesellschaftsordnung eintreten will, kommt nicht darum herum auf den Erfahrungen derjeniger aufzubauen, die wichtige inhaltliche und praktische Beiträge hierfür geliefert haben. Unser Anspruch muss es sein, ihre Fehler herauszuarbeiten und nicht zu wiederholen, sowie die errungenen richtigen Erkenntnisse und Erfahrungen auf einer neuen Stufe weiterzuentwickeln – ein Prozess der nach dem Scheitern der bisherigen Organisierungskonzepte in der BRD strukturell erst wieder am Anfang steht.
Einführendes zur Geschichte der RAF
Die RAF hat sich 1970, 14 Jahre nach dem Verbot und der Zerschlagung der KPD gegründet, in einer Zeit, in der die USA gerade mit Unterstützung der BRD Vietnam in Schutt und Asche bombten, in der auf die revolutionären Bewegungen vor allem in Lateinamerika aber auch im Nahen Osten und anderen Teilen Asiens mit militärischer Gewalt und der Installierung von Diktaturen reagiert wurde, in der in der BRD die alte Nazi-Elite an den Hebeln der Macht saß.
Die AktivistInnen der RAF haben nach dem Abflauen der 68er Bewegung und dem Beginn einer neuen Etappe in der Linken, die sich zu großen Teilen in der ML-Bewegung und der Gründung der K-Gruppen manifestierte, die Initiative ergriffen. Die Probleme der K-Gruppen wie Sektierertum auf der einen, Opportunismus auf der anderen Seite, mangelnde Verankerung in der ArbeiterInnenklasse etc. haben sie dabei kritisiert und u.a. an deren mangelnder konkreten Praxis festgemacht. Sie haben mit der Gründung der RAF der imperialistischen Bourgeoise kompromisslos den Krieg erklärt und sich den weltweiten proletarischen Kämpfen für Befreiung konkret angeschlossen.
Obwohl schon direkt nach ihrer Gründung eine massive Hetze losgetreten, sowie der komplette Polizei- und Geheimdienstapparat auf sie angesetzt und für den Kampf gegen sie um- und ausgebaut wurde, hat die RAF fast drei Jahrzehnte lang ihre Strukturen aufrechterhalten, das US-Militär, den deutschen Repressionsapparat und Repräsentanten des Systems direkt angegriffen. Bei all dem wurden zahlreiche Erklärungen, Analysen, Aktionsvorschläge und Organisierungskonzepte entwickelt und zur Diskussion gestellt. Zeitweise verfügte die RAF über eine breite Zustimmung innerhalb der Bevölkerung (in Umfragen gab Anfang der 70er zeitweise jedeR vierte an, mit ihrer Politik zu sympathisieren) und über eine Infrastruktur mit Waffendepots, Fahrzeugen und Wohnungen.
Vor allem nach der schweren Niederlage durch zahlreiche Festnahmen und den Tod führender RAF-AktivistInnen bereits Anfang der 70er wurden sicher einige Fehler offensichtlich: Die Roten Brigaden (Italien) und die Kämpfenden Kommunistischen Zellen (Belgien) etwa kritisierten die antiimperialistische Ausrichtung der RAF und den mangelnden Bezug auf den Klassenkampf in der BRD bzw. ein fehlendes Konzept für den Aufbau einer kämpfenden Kommunistischen Partei. Auch die zunehmende Fixierung auf die Gefangenen bzw. die verantwortlichen Repressionsorgane wurde als Fehler kritisiert. Ebenso eine mangelnde kritische Positionierung zur verheerenden und nicht zu rechtfertigenden Methode der Flugzeugentführung von anderen bewaffneten Gruppen, wie im Fall der “Landshut”.
Die Politik der RAF war bis zu ihrer Auflösung 1998 von unterschiedlichen Konzeptionen und Schwerpunkten geprägt. Die Isolierung der zahlreichen Gefangenen, und die Schwierigkeiten auf die, sich seit 1970 weltweit und auch in der BRD massiv verändernde, Situation immer die richtigen Antworten zu finden, machten es ihr schwer einen kontinuierlichen Prozess zu gewährleisten.
Auch fast 10 Jahre nach ihrer Auflösung fand eine umfassende Aufarbeitung bisher weder von der Revolutionären Linken, noch von den ehemaligen RAF-AktivistInnen statt.
Die Tatsachen, das immer noch AktivistInnen in den Knästen sitzen, dass die Selbstkritik der RAF und auch der anderen Stadtguerillagruppen, keine revolutionäre Partei bzw. Massenorganisation mit aufgebaut zu haben, nach wie vor praktisch umzusetzen wäre etc. zeigen das die Beschäftigung mit dieser Thematik für die Revolutionäre Linke noch lange nicht abgeschlossen sein darf. Die unten aufgeführten Veranstaltungshinweise, aktuellen Texte und Links zum Download verschiedener Bücher und Schriften zum Thema werden wir in den nächsten Wochen noch weiter ergänzen und hoffen damit zunächst zumindest einen kleinen Beitrag hierfür zu leisten.