Der diesjährige 8. März, der historische internationale Frauen*kampftag, steht in zahlreichen Städten im Zeichen des Frauen*streiks. Zeitgleich zur feministischen Mobilisierung laufen die Tarifverhandlungen des Sozial- und Erziehungsdienstes, bei dem die Beschäftigten um die Aufwertung des reproduktiven Bereichs kämpfen. Es geht vor allem darum, dass stark weiblich geprägte Tätigkeiten ökonomische Besserstellung und Wertschätzung erfahren. Die Frauen*streik-Bewegung verbindet durch vielfältige Aktionen die Tarifauseinandersetzung mit einer feministischen Perspektive und knüpft damit an historische Kämpfe von Frauen* an. Seit es Klassenkämpfe gibt, nehmen Frauen* darin eine tragende Rolle im Kampf für ihre Interessen als Arbeiter*innen und für ihre Interessen als Frauen* ein: beim Weberaufstand 1844, dem Crimmitschauer Textilarbeiter*innenstreik 1903 oder auch bei den Tarifrunden des Sozial- und Erziehungsdienst 2009 und 2015. Es waren Frauen*, die mit einem Generalstreik 1917 die Russische Revolution einleiteten und sich im März 1871 als erste den französischen Regierungssoldaten in den Weg stellten, was im Ausruf der Pariser Kommune mündete.
Doch trotz der Errungenschaften unserer Vorkämpfer*innen werden Frauen* auch heute noch auf vielen Ebenen unterdrückt. Seit einigen Jahren erlebt die Frauen*bewegung wieder einen Aufschwung und unter der Vielfalt feministischer Strömungen organisieren sich weltweit klassenbewusste Feministinnen*. Sie verbinden gezielt den Kampf um konkrete materielle Verbesserungen für Beschäftigte mit dem Kampf gegen die vielschichtige Unterdrückung der Frau*. In Spanien gingen zum Frauen*streik 2018 über fünf Millionen Menschen gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, patriarchale Gewalt und Sexismus auf die Straße. Vor allem Frauen* legten ihre Arbeit im Privaten, sowie ihre Lohnarbeit nieder. In Polen haben Aktivist*innen den Kampf um den Zugang zu legalen und selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen mit einer Kritik an der rechten Regierung verbunden und mobilisierten Tausende zu einem Generalstreik. Und auch in Deutschland tut sich etwas: Seit 2018 schließen sich feministische Initiativen in einer bundesweiten Vernetzung für einen Frauen*streik zusammen. Für den 8. März 2022 rufen sie in zahlreichen Städten dazu auf, bezahlte und unbezahlte Reproduktionsarbeit zu bestreiken und unterstützen aktiv den Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst.
Doppelte Ausbeutung der Frau*: Ausgangspunkt für Frauen*kämpfe
Bis heute leisten Frauen* den Großteil der Reproduktionsarbeit. Sie übernehmen die Kinderbetreuung, das Kochen und Putzen. Sei es in Form von Lohnarbeit oder im Haushalt: In Kitas, der Hauswirtschaft oder dem Krankenhaus sind zwischen 80 und 95 Prozent der Beschäftigten weiblich und Mütter* wenden im Durchschnitt doppelt so viel Zeit für Kinder und Haushalt auf wie Väter. Diese geschlechtliche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen* ist historisch gewachsen und ein Mechanismus der Ausbeutung der Frau* durch das Patriarchat und den Kapitalismus, die miteinander verbunden sind und sich gegenseitig stärken. Heute werden Frauen* stellenweise für die reproduktiven Tätigkeiten, die sie leisten bezahlt und viele Mütter* leben alleinerziehend oder nicht in einer heteronormativen Partnerschaft. Dennoch wirkt das Modell des Mannes als Hauptverdiener und der Frau* als Zuverdienerin* im Rahmen der heteronormativen Familie fort – so zum Beispiel in den systematisch schlecht bezahlten „klassischen Frauen*berufen“.
Auch wenn es relevante Unterschiede zwischen reproduktiven Tätigkeiten im Rahmen der Lohnarbeit und im Rahmen unbezahlter Reproduktionsarbeit gibt, erfüllen diese Tätigkeiten die gleiche Funktion im kapitalistischen Produktionsprozess. Reproduktion ist für die kapitalistische Produktionsweise unentbehrlich: Kinder gebären, umsorgen und zu – gesetzeskonformen und leistungsfähigen – Menschen erziehen, sowie Väter und Partner bekochen, ihre Wäsche waschen, ihren Sorgen liebevoll zuhören und ihnen den Rücken freihalten, sodass sie heute und in Zukunft fit für die Arbeit sind. Ob bezahlt oder unbezahlt – Reproduktionsarbeit dient dazu Menschen körperlich und psychisch fit und leistungsfähig für die Arbeit zu machen.
Die gesellschaftlich notwendigen reproduktiven Tätigkeiten werden in der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft nicht zum Wohle aller Menschen organisiert, sondern auf ein Minimum Mögliches reduziert und dies auf dem Rücken von Frauen*:
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Die Vereinzelung von Frauen*, die im (eigenen) Haushalt kochen, waschen und pflegen bedeutet mehr Arbeit für jede Einzelne. Viel nützlicher könnten wir Reproduktionsarbeit geschlechterübergreifend und gemeinsam gestalten. In Großküchen kann kollektiv für mehr Leute gekocht oder in solidarischen generationenübergreifenden Stadtteilprojekten Kinderbetreuung und Putzpläne gestemmt werden.
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Reproduktionsleistungen sind nicht allen gleichermaßen zugänglich: Wer über ausreichend Geld verfügt, kann sich eine Reinigungskraft für das eigene Zuhause oder ein tägliches Mittagessen im Restaurant leisten. Der Zugang zur Krankenversorgung, zu Bildungs- oder Betreuungseinrichtungen bis hin zu Sport-, Musik- und Kulturangeboten sind noch immer eine Frage des Geldbeutels. Der Kampf gegen den patriarchalen Kapitalismus beinhaltet das Ziel unser Zusammenleben so solidarisch zu gestalten, dass alle Menschen bei der Kinderbetreuung, Angehörigenpflege oder eigener Krankheit die Unterstützung bekommen, die sie benötigen.
- Frauen*, die Reproduktionsarbeit für keinen oder nur niedrigen Lohn leisten, werden ausgebeutet und systematisch in die Abhängigkeit von ihren Partnern*, bzw. Armut, gedrängt. Darüber hinaus in Form von Sexismus, patriarchaler Gewalt und rechtlichen Einschränkungen, wie den §§218 und 219, unterdrückt und klein gehalten um die ökonomische Ausbeutung aufrecht zu erhalten. Unsere Perspektive ist eine Gesellschaft in der Frauen* frei, unabhängig und sicher leben können, in der sie entscheiden ob und wie viele Kinder sie wollen.
Wir wollen mehr als wertschätzende Gesten in Form von Blumen, rechtlichen Zugeständnissen oder symbolische Anerkennung unserer Arbeit, durch kaum nennbare Lohnerhöhungen. Uns geht es darum, die systematische Unterdrückung von Frauen* ökonomisch, politisch und ideologisch zu überwinden. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Mensch durch einen anderen unterdrückt wird und in der gesellschaftliche Reproduktion solidarisch und kollektiv – nach den Bedürfnissen der Menschen, nicht im Interesse einer Profitsteigerung und auf Kosten der Unabhängigkeit und Gesundheit von Frauen* – organisiert wird. Dazu müssen wir mit den kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnissen brechen und die Reproduktion, die im „Privaten“ durch Frauen* geleistet wird, überwinden.
Deshalb: Frauen*streik
Das Mittel der Arbeitsverweigerung, des Frauen*streiks, ermöglicht uns, den patriarchalen Kapitalismus im Nerv zu treffen und Druck aufzubauen. Die Niederlegung der Reproduktionsarbeit kann den kapitalistischen Alltag stören. Denn nur wenn Kita, Schulhort oder Pflegeeinrichtung reibungslos laufen, können auch andere gesellschaftliche Bereiche funktionieren: Eltern ebenso wie pflegende Angehörige brauchen eine Kinderbetreuung oder Pflegeeinrichtung, um arbeiten zu gehen. Ihre Solidarität ist gefragt, denn auch sie und ihre Angehörigen würden von einem besseren Reproduktionssystem profitieren – und dafür stehen die Streikenden ein.
Das Arbeits- und Tarifrecht in Deutschland sieht das Mittel des Streiks nur in Verbindung mit konkreten Tarifforderungen im Rahmen von Arbeitskämpfen zwischen zwei fest definierten Parteien, den sogenannten „Arbeitgeber*innenverbänden“ und den Gewerkschaften, vor. Das bedeutet eine erhebliche Einschränkung für die Durchsetzung von Interessen der Arbeiter*innenklasse, für die das Kampfmittel des Streiks das ist, das den nötigen Druck aufbaut. Der politische Streik, ein Streik außerhalb eines Tarifkampfes für gesamtgesellschaftliche Forderungen, ist ein effektives Mittel, um dem Kapital und der herrschenden Klasse Schaden zuzufügen. Beispielsweise wurde seit Dezember 2019 in Frankreich mehrmals gegen eine Verschlechterung des Rentensystems gestreikt und diese bisher verhindert. Dennoch bietet uns die Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst die Möglichkeit im Arbeitskampf über tarifrechtliche Forderungen hinaus zu gehen, Missstände der Frauen*unterdrückung anzuprangern und für eine geschlechtergerechte Gesellschaft zu streiken. |
In der bevorstehenden Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst – ein klassisch reproduktiver Bereich – machen wir die Ausbeutung der Frau* im Rahmen der Reproduktionsarbeit zum Ausgangspunkt für gemeinsamen Widerstand. Als Erzieherinnen*, Sozialarbeiterinnen*, Mütter* und Frauen* halten wir die Gesellschaft mit eben dieser Arbeit am Laufen, während wir selbst kaum oder gar nicht davon leben können. Das Potential des Frauen*streiks sehen wir allerdings nicht in einem einmaligen Event, sondern den politischen Streik als ein etabliertes Druckmittel im revolutionären Aufbauprozess. Es geht darum, im Bündnis aus Streikenden, Gewerkschaften und Feministinnen* das gemeinsame Kämpfen zu lernen, um in der Zukunft darauf aufzubauen. Die Schritte, die die feministische Streikbewegung 2022 macht, bringen uns ein Stück näher zu einem politischen (General-)Streik, mit dem wir unsere Arbeit nicht nur im legalen Spielraum einer Tarifverhandlung verweigern, sondern auch darüber hinaus: Gegen Frauen*ausbeutung und Sexismus sowie gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlage, Sozialabbau und den Kapitalismus im Gesamten.
Solidarität mit den Streikenden im Sozial- und Erziehungsdienst. Auf die Straße am 8.März: Für einen feministischen Generalstreik – Für den Kommunsimus!
Plakate in Stuttgart, Karlsruhe und München