Pforzheim ist bekannt für faschistische Umtriebe und massive Polizeiaufgebote zur Ermöglichung von Nazidemos. So sicherten 1300 Polizisten am 11. Mai den Aufmarsch von 90 Rechten. Mehrere hundert AntifaschistInnen beteiligten sich im Rahmen der Möglichkeiten an Gegennprotesten und Störaktionen.
Erklärung vom Bündnis “…nicht lange fackeln!”
Mit einem faktischen Ausnahmezustand haben die Stadt Pforzheim und die Polizeidirektion Karlsruhe am 11. Mai 2019 einen Aufmarsch von knapp 90 Nazis durch die östliche Pforzheimer Innenstadt durchgesetzt. Bis zu 1300 Polizisten sicherten dafür bereits ab dem frühen Morgen mit Gittern, Hunden, Pferden und einem Wasserwerfer ein etwa 400 mal 500 Meter großes Rechteck in der östlichen Innenstadt von Pforzheim. Ein Polizeihubschrauber beobachtete zudem den Bereich aus der Luft.
Im gesamten Tagesablauf lies die Polizei keinen Zweifel an dem Vorhaben, den Aufmarsch der Faschisten reibungslos über die Bühne zu bringen. Antifaschistische Proteste konnten am 11. Mai nur punktuell in die Nähe der Naziroute gelangen und den Ablauf der faschistischen Veranstaltung in Pforzheim nicht stören. Bei Polizeiangriffen auf die Gegenproteste wurden mehrere GegendemonstratInnen verletzt. Aber der Reihe nach:
Die Nazis
Im Kontext der anstehenden Kommunalwahlen hatte die faschistische Kleinstpartei „Die Rechte“ bereits vor einigen Wochen eine Demonstration in Pforzheim angekündigt. Was großspurig als „Marsch für die Festung Europa“ bezeichnet wurde, war am 11. Mai letztlich einen etwas größerer Spaziergang durch ein ausgestorbenes und hermetisch abgeriegeltes Karree im Osten Pforzheims. Von 90 teilnehmenden Faschisten bestand mindestens die Hälfte aus angereisten Kadern aus dem Ruhrpott. Der Rest kann getrost als das letzte Aufgebot der baden-württembergischen bzw. rheinland-pfälzischen Kameradschaftsszene bezeichnet werden: Ein mehr oder minder bunter Haufen aus Betreibern von Nazi-Internetportalen, Mitgliedern der Konkurrenzpartei „Der Dritte Weg“ und sogenannten „Freien Nationalisten“.
Wegen einiger Probleme im Zugverkehr konnte die Demo der Nazis erst mit eineinhalbstündiger Verspätung, gegen 13.30 Uhr, starten. So sorgte etwa ein Brand im Kabelschacht auf der Straßenbahnstrecke nach Pforzheim dafür, dass eine größere Gruppe Nazis nicht zur Auftaktkundgebung stoßen konnten. Nur durch das beherzte Eingreifen der Pforzheimer Polizei, die Shuttlebusse zur Verfügung stellten, konnten die etwa dreißig Faschisten doch noch an der Nazidemo teilnehmen.
Den Weg durch das hermetisch abgeriegelte Viertel liefen die Nazis dann gleich zweimal, mutmaßlich um die kurze Route zu verlängern. Zurück am Pforzheimer Bahnhof beendeten die Nazis ihre Demo wegen einsetzendem Starkregen schnell und ließen sich von der Polizei in den Zug in Richtung Karlsruhe verfrachten.
Die Gegenproteste
Bereits um 11 Uhr am Morgen starteten die Gegenproteste mit einer Demonstration des antirassistischen Netzwerks Baden-Württemberg. Nach einer kurzen Auftaktkundgebung auf der Nordseite des Pforzheimer Bahnhofs zog die Demo mit knapp 150 TeilnehmerInnen zum Abschiebeknast. Als auf der dortigen Zwischenkundgebung ein Redebeitrag per Handy direkt aus dem Knast gehalten wurde, stürmte die Polizei als Reaktion das Abschiebegefängnis um das mutmaßlich eingeschmuggelte Telefon zu beschlagnahmen. Ihr Ende fand die antirassistische Demo dann am östlichen Rand des Pforzheimer Bahnhofsvorplatz. Von dort wurden die wartenden Nazis mit Musik und Parolen beschallt.
Ähnlich lautstark gestaltete sich derweil die Situation auf dem westlichen Teil des Bahnhofsvorplatzes. Ab 11.30 Uhr sammelten sich dort AntifaschistInnen. Die Menge wuchs bis zum Demostart der Faschisten auf mehrere hundert GegendemonstrantInnen an, die nach dem Abmarsch der Nazis mit einem Demozug über die Kundgebung des Bündnis „Pforzheim Nazifrei“ in Richtung Innenstadt zogen.
Während der antifaschistischen Demonstration unterband die Polizei u.a. mit Pfefferspray und Schlagstöcken mehrfach, dass größere Gruppen in Richtung Sperrgebiet und Naziroute zogen. Letztlich konnten nur knapp 100 AntifaschistInnen auf Höhe des städtischen Europafestes in Hör- und Sichtweite der Nazis gelangen.
Bei der Abreise der Nazis griff die Bundespolizei noch mehrere GegendemonstratInnen an, die es auf den Bahnsteig der wartenden Nazis geschafft hatten. Mehrere Menschen mussten in diesem Zuge ärztlich versorgt werden, eine Antifaschistin wurde per Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht.
Ein vorläufiges Fazit
„Die Rechte“ spielt als Nazi-Partei in der Tradition des deutschen Faschismus im aktuellen gesellschaftlichen Rechtsruck eine untergeordnete Rolle. Während sich nahezu wöchentlich bundesweit mehrere tausend Menschen an rechten Demos und Kundgebungen beteiligen, bleiben die in SA-Manier durchgeführten Veranstaltungen von „Die Rechte“ in ihrer Teilnehmerzahl überschaubar.
Dennoch ist es richtig auch mit hier entschiedenen antifaschistischen Widerstand anzusetzen, bleiben doch die militanten Faschisten eine unmittelbare körperliche Gefahr für Geflüchtete, MigrantInnen und politisch Andersdenkende.
Umso bitterer ist es, dass es am 11. Mai 2019 in Pforzheim nicht gelang, die Demo der Nazis spürbar einzuschränken – zu groß und zu professionell sind mittlerweile die Polizeieinsätze im Südwesten. Wenn 1300 Polizisten mit Rückendeckung der Stadtverwaltung einen kleinen Stadtteil militärisch besetzen, ist der Handlungsspielraum für Gegenproteste in der aktuellen Situation begrenzt. Hier bedarf es einer Weiterentwicklung bestehender Konzepte.
Ein mehr als kritisches Auge gilt es zudem auf die Aktivitäten den Bündnis „Pforzheim Nazifrei“ zu werfen. Nicht nur der Schulterschluss zwischen der eigentlich progressiven „Initiative gegen Rechts Pforzheim“ und der CDU sowie dem AKP-nahen DITIB-Verband werfen Fragen auf. Auch das urplötzlich aufploppende Gewissen in Teilen der Pforzheimer Politik- und Zivilgesellschaft kann wahrscheinlich nur im Kontext des aktuellen Wahlkampfs richtig eingeordnet werden. Ein Naziproblem hat Pforzheim schließlich nicht erst seit dem 11. Mai 2019: Faschistische Übergriffe in den letzten Jahren und die jährliche Nazimahnwache auf dem Wartberg sprechen für sich. Und auch die Wahlergebnisse der Rechtspopulisten in der Goldstadt sprechen eine deutliche Sprache. Ein einmaliges „Flagge-zeigen“ reicht hier definitiv nicht aus, zumal man sich mit dem kümmerlichen Haufen offener Nazis schlicht und ergreifend den leichtesten Gegner ausgesucht hat.