Die Entwicklung grundlegender Analysen und Positionen, die der politischen Praxis eine Richtung und Perspektive geben, ist ein stetiger Prozess. Sowohl Texte zu spezifischen Themen, etwa in Form von Aufrufen und Flugblättern, als auch umfassendere programmatische Diskussionen, intern wie auch mit weiteren Organisationen, sind für uns Teil dieses Prozesses. Eines der Ergebnisse hiervon ist der vorliegende programmatische Text. In ihm legen wir kurz zusammengefasst die Grundlagen unserer politischen Arbeit dar und stellen sie zur Diskussion.
So wie es ist bleibt es nicht
Die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sind weder zufällig entstanden, noch unabänderliches Schicksal, sondern von Menschen gemacht und somit veränderbar.
Für uns steht fest, dass eine Perspektive jenseits der momentan herrschenden Weltordnung möglich und nötig ist. Ein System in dem der Alltag der Menschen in weiten Teilen von Armut und Unterdrückung geprägt ist – und selbst in den Ländern, wo Unmengen an Reichtum angehäuft wurden, entfremdete Lohnarbeitsverhältnisse, der Ausschluss der großen Masse von zentralen Entscheidungen, geistige Abstumpfung und Verarmung vorherrschen – ist nicht das Ende der Geschichte. Vielmehr kann eine Gesellschaftsordnung, die nicht nur diese Symptome hervorbringt, sondern von Grund auf auf Profitstreben, Konkurrenz und der Herrschaft einer Klasse basiert, die über die Produktionsmittel und die politische Macht verfügt, keinen endgültigen Bestand haben. Sie muss überwunden werden.
Eine Frage der Klasse
Die Frage wie und von wem gesellschaftliche Veränderungen ausgehen können ist zentral. Ihre Beantwortung bedarf einer wissenschaftlichen Methode, einer Analyse der objektiven Situation und ihrer Entwicklung. Entscheidend ist dabei die materielle Grundlage der Verhältnisse, die Basis auf der der gesellschaftliche Überbau – Ideologien, der Staat, Kultur etc. – aufbaut. Diese materielle Grundlage jeder gesellschaftlichen Ordnung sind die Produktionsverhältnisse. Sie entscheiden im Wesentlichen über die gesellschaftliche Stellung der Menschen und ihre Möglichkeiten.
Im Kapitalismus wird die Gesellschaft in zwei Klassen geteilt. Auf der einen Seite steht die Klasse der Lohnabhängigen, das Proletariat, all diejenigen die gezwungen sind ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Auf der anderen Seite steht die Kapitalistenklasse, die Bourgeoisie, diejenigen die über die Produktionsmittel und somit über die Arbeitsbedingungen bestimmen und sich den geschaffenen Reichtum aneignen. Weitere Klassen, Differenzierungen innerhalb der Klassen, sowie ein ineinander Übergreifen spielen eine untergeordnete Rolle.
Aufgrund dieser Besitzverhältnisse, die historisch nicht zuletzt durch Gewalt, Enteignung und Unterdrückung entstanden sind, hat die Kapitalistenklasse die gesellschaftliche Macht inne – sie ist in der Lage ihre Interessen in und durch Staat, Medien, Kultur und letztlich jede Facette des gesellschaftlichen Lebens durchzusetzen. Entscheidend ist dabei, dass dieses System einerseits auf der Klasse der Arbeiterinnen und Arbeiter aufbaut und sie als Klasse die absolute Mehrheit der Gesellschaft bilden, sie andererseits jedoch von der Bestimmung über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgeschlossen sind. Dass diese Situation leicht als naturgegeben begriffen werden kann, Arbeitsplatz und Lohn eine Abhängigkeit von der Kapitalistenklasse suggerieren oder der kapitalistische Staat als neutrale und notwendige Instanz erscheint, sind nur einige der Gründe, weshalb das gegensätzliche Klasseninteresse nicht immer unmittelbar erkennbar ist. Auch die unterschiedlichen Lebensrealitäten, die sich durch die ArbeiterInnenklasse, insbesondere im internationalen Maßstab, ziehen, sowie die (natürlich immer nur für Wenige vorhandene) Möglichkeit, selbst nach oben aufzusteigen und die unzähligen diffusen bis reaktionären Ideologien, lassen den Klassenwiderspruch im Alltag als nebensächlich erscheinen.
All dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass jedes Streben nach fortschrittlicher Veränderung objektiv das Interesse des Proletariats wiedergeben muss und dass die Aufrechterhaltung und Verschärfung der kapitalistischen Verhältnisse einzig im Interesse der Kapitalistenklasse liegen. Dieser Widerspruch und die notwendige und mögliche Durchsetzung der Interessen des Proletariats, treten insbesondere in Situationen die von Krisen und Konflikten geprägt sind deutlich hervor. Ihr Erkennen hängt aber nicht zuletzt vom eigenen Handeln, vom Erfahren von Solidarität mit den KollegInnen und dem deutlich werden der gemeinsamen Stärke ab. Dass dieses Bewusstsein immer wieder angegriffen und abgeschwächt wird, Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführung es schaffen Kämpfe abzuwiegeln oder sich Konkurrenzdenken durchsetzt, ist allenfalls Ausdruck von temporären Niederlagen in spezifischen Situationen. Nicht zufällig waren es geschichtlich und sind es in vielen Ländern bis heute in erster Linie blutige Unterdrückung, Inhaftierungen und Ermordungen, die die kapitalistische Herrschaft gegen den Kampf der Ausgebeuteten und Unterdrückten bestehen lassen.
Der Klassenkampf ist die Grundlage auf der sich politische Konflikte abspielen. Rassistische, patriarchale und weitere gesellschaftliche Diskriminierungen und Unterdrückungsformen existieren nicht losgelöst davon, sondern basieren einerseits auf den konstruierten Konkurrenzverhältnissen und begünstigen andererseits die Zersplitterung unserer Klasse, im Interesse der Kapitalistenklasse. Der Klassenkampf ist daher auch als umfassender politischer Kampf zu verstehen und nicht vom politischen Widerstand und dem Kampf gegen sämtliche Formen der Diskriminierung und Unterdrückung zu trennen.
Letztlich liegt es in unserem Klasseninteresse und auch in unseren Möglichkeiten, die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse umzustürzen.
Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark
Die Interessensgegensätze zwischen Bourgeoisie und Proletariat sind letztlich antagonistisch, d.h. sich so entgegengesetzt, dass sich nur die eine oder die andere Seite durchsetzen kann: Privatbesitz der Produktionsmittel, somit Aneignung von Reichtum durch Wenige, sowie Profitstreben und Konkurrenz stehen der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, der allgemeinen Solidarität, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung gegenüber. Unser Ziel kann nur eine Gesellschaftsordnung sein, in der die Kontrolle über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse nicht weiter in der Hand einer kleinen Klasse aus Kapitalisten und bürgerlichen Regierungen liegt, sondern die Produktionsmittel vergesellschaftet sind und alle Belange der Gesellschaft kollektiv organisiert werden. Die massive Ausbeutung der Mehrheit einerseits und die Anhäufung von Reichtum bei Wenigen andererseits müssen beendet werden, der gesellschaftliche Reichtum allen zur Verfügung gestellt und alle notwendigen Arbeiten nach Fähigkeiten und Interessen verteilt werden. Frieden und internationale Solidarität haben an die Stelle von imperialistischen Kriegen und militärischer Aufrüstung zu treten. Das Bildungswesen darf nicht länger Wirtschaftsinteressen untergeordnet sein, sondern muss allen ein selbstbestimmtes Lernen ermöglichen. Anstelle des bürgerlichen Staatsapparates sind Strukturen zu entwickeln, die gesellschaftliche Mitbestimmung und die Niederhaltung jeglicher Form der Ausbeutung gewährleisten.
Ein sog. „dritter Weg“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus oder ein „Kapitalismus mit menschlichem“ Antlitz sind Utopie. Es kann nicht um eine Reform des herrschenden Systems oder um die Abmilderung seiner Symptome gehen; es wäre auch zwecklos darauf zu hoffen, die Herrschenden würden aus moralischen Beweggründen heraus ihre Macht und Privilegien abgeben.
Inkonsequente und auf Reformen ausgerichtete Konzepte haben sich daher stets als Sackgasse und in letzter Instanz eher als Teil des Problems, denn als Teil einer Lösung erwiesen. Eine klare revolutionäre politische Linie ist folglich unabkömmlich. Sie muss es jedoch wiederum schaffen, sämtliche anderen fortschrittlichen Kräfte in den Kampf für Veränderung mit einzubeziehen. So wichtig und unerlässlich klare und konsequente revolutionäre Strukturen sind, so beschränkt bleiben ihre Möglichkeiten wenn sie isoliert sind oder es versäumen, Vermittlungsebenen zu beachten, Bündnisse einzugehen und überall dort wo es möglich ist, fortschrittliches Handeln zu unterstützen.
Theorie und Praxis
Die bis hierhin formulierten Positionen und Ansprüche und sämtliche weitere Theorie ist für sich nicht in der Lage die Verhältnisse zu verändern. Vieles kann zunächst logisch und richtig erscheinen, an der Realität aber fundamental scheitern und damit bedeutungslos sein. Die Theorie muss in die Praxis umgesetzt werden. Durch das konkrete Handeln kann ihre Richtigkeit erst überprüft, Fehler erkannt, die zur weiteren Entwicklung notwendigen Erfahrungen gemacht und politische Positionen überhaupt erst vermittelt werden. Ohne die Praxis läuft jede Theorie Gefahr als Dogma zu erstarren und damit bestenfalls ihren Sinn zu verlieren.
politische Praxis wiederum kann und muss immer wieder durch neue Diskussionen und Analysen, die ihr erst Zweck und Ziel verleihen, weiterentwickelt werden.
Zahllose aktionistische linke Strömungen und Organisierungen, die einem Event nach dem anderen nachjagen, zeigen ebenso wie ihr Gegenstück in Form derer die Unmengen von Papier mit ihren Phrasen, Aufforderungen und Kritiken verbrauchen, wie perspektivlos jeweils das eine ohne das andere ist .
Zu unseren organisatorischen Grundlagen gehört es daher, dass theoretische und praktische Arbeit miteinander einhergehen und aufeinander aufbauen. Wir führen und unterstützen heute den politischen Kampf auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen. Wir entwickeln darauf aufbauend aber auch eine langfristige Perspektive, in dem Erfahrungen reflektiert und die theoretischen Grundlagen zur Überwindung des Kapitalismus entwickelt werden.
Für einen revolutionären Aufbauprozess
Die Umsetzung der formulierten Ansprüche, die Überwindung des Kapitalismus und der Aufbau einer befreiten Gesellschaftsordnung erfordern mehr als lediglich eine politische Bewegung. Selbst die heute bereits geführten Kämpfe verlangen, dass wir uns in verschiedenen Bereichen organisieren: in und kämpferischen Basisgruppen in den Betrieben, in antifaschistischen Gruppen, selbstverwalteten Zentren und politischen Strukturen an Schulen und Unis. All diese Strukturen sind für den kontinuierlichen, auf Erfahrungen und kollektiven Diskussionen aufbauenden Kampf in den verschiedenen Bereichen eine substantielle Grundlage.
Organisierung bedeutet generell der Individualisierung, dem Egoismus und dem Konkurrenzdenken entgegen zu wirken. Die zentrale Tendenz, die dem Kapitalismus innewohnt und seine Überwindung ermöglicht, kann dadurch aufgegriffen und weiter entwickelt werden: die Vereinigung der ArbeiterInnenklasse gegen die Klasse, die von Ausbeutung und Unterdrückung profitiert. Unsere heutigen Zusammenschlüsse sind somit die Grundlage, um zukünftig sämtliche gesellschaftlichen Bereiche selbstbestimmt, kollektiv und solidarisch zu regeln und Strukturen zu entwickeln, die an die Stelle profitorientierter Unternehmen und des bürgerlichen Staates treten.
Doch auch die Strukturen in verschiedenen Teilbereichen reichen nicht aus. Es gilt, eine Organisation der ArbeiterInnenklasse zu schaffen, die sich nicht mit der Verbesserung des Kapitalismus beschäftigt, sondern an seiner Überwindung arbeitet. Eine Organisation, die die revolutionäre Theorie und Praxis langfristig und kontinuierlich entwickelt, Schulung und Information gewährleistet und sich nicht auf tagespolitische Kämpfe beschränkt und darin abarbeitet, sondern deren Dynamiken für den revolutionären Prozess nutzt. Eine organisierte politische Gegenmacht die den Angriffen des Machtapparates der Herrschenden widersteht, Erfahrungen weitergibt,die richtigen Konsequenzen aus Rückschlägen zieht, dem Kampf Kontinuität verleiht, bereits heute erfolgreiche Kämpfe führt, letztlich den revolutionären Aufstand und den Aufbau einer befreiten Gesellschaftsordnung organisiert. Wenn die Perspektive auch eine internationalistische und letztlich die Überwindung der bürgerlichen Nationalstaaten ist, ist der direkte Bezugsrahmen zunächst die BRD. Es liegt in unserer Verantwortung hier die Kämpfe zu führen, sie aber zunehmend mit den revolutionären Kräften in anderen Ländern zu koordinieren und für die internationale Solidarität, gegen nationalistische Spaltungsversuche, einzutreten.
Eine revolutionäre kommunistische Organisationen kann und darf die verschiedenen anderen Organisierungen dabei nicht ersetzen, sondern muss in einem dialektischen, sich ergänzenden und aufeinander aufbauenden Verhältnis zu ihnen stehen und die Selbstorganisierungen in den verschiedenen Bereichen ermöglichen und unterstützen.
Das Ignorieren oder Leugnen der Notwendigkeit des Aufbaus einer kommunistischen Organisation, sei es zugunsten von aktionistischen Zusammenhängen, Bewegungen, Vernetzungen, Teilbereichsstrukturen oder anderen rein dezentralen Konzepten hat die revolutionäre Linke hier über Jahre geschwächt: die unzähligen, kaum über mehrere Jahre existenten, kaum etwas hinterlassenden Gruppen haben teilweise hier und dort für eine gewisse Zeit Erfolge erzielt, für einen wirklichen revolutionären Prozess war ihr Beitrag zwangsläufig äußerst beschränkt.
Es gilt sich jedoch auch von denen abzugrenzen, die ein schematisches oder dogmatisches Konzept zum Aufbau einer kommunistischen Organisation verfolgten und verfolgen. Die notwendige Organisation wird nicht am Schreibtisch und nicht auf Sitzungen, sie wird nicht einfach in Abgrenzung zu anderen Ansätzen oder in ständigen Aufrufen sich dieser oder jener Struktur anzuschließen geschaffen und kann auch nicht als Kopie früherer Konzepte Bestand haben.
Sie kann nur durch die eigene kollektiv organisierte revolutionäre Theorie und Praxis geschaffen werden, durch das klare Ziel vor Augen, die Verankerung in den jetzigen realen Verhältnissen, die stetige theoretische und praktische Entwicklung und das solidarische Verhältnis zu anderen Kräften, die dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen. Die zahlreichen früheren Bestrebungen des Aufbaus einer kommunistischen Gesellschaftsordnung sind dabei mit einzubeziehen und aus ihren Erfahrungen, d.h. ihren erfolgreichen Methoden aber auch aus ihren gemachten Fehlern, zu lernen.
Ein Organisationsmodell wie wir es anstreben, existiert bisher nur in Ansätzen. Daher begreifen wir unsere Struktur, neben ihrer Bedeutung für den bereits heute stattfindenden täglichen politischen Kampf, letztlich als einen Beitrag zur Schaffung dieser Organisation.
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Revolutionäre Aktion Stuttgart, April 2012