Seit Freitag, den 18. März wird Libyen bombardiert. Von Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen aus werden seitdem Raketen und Marschflugkörper auf Ziele in Tripolis und anderen Städten abgefeuert. Zahlreiche Straßen und Gebäude wurden bisher zerstört. Die NATO plant noch größere Waffenlieferungen an die Aufständischen und auch der direkte Einmarsch wird von einigen Staaten bereits offen gefordert.
Hintergrund des Krieges
In vielen arabischen Ländern fanden in den letzten Monate starke Massenproteste gegen die teilweise seit Jahrzehnten herrschenden Regimes statt. In Tunesien und Ägypten wurden die vom Westen bis zuletzt unterstützen Machthaber Ben Ali und Mubarak gestürzt, in mehreren anderen Ländern scheinen ähnliche Entwicklungen möglich.
Die Eliten aus Wirtschaft und Politik der westlichen Staaten, die seit Jahrzehnten die Unterdrückung der arabischen Bevölkerung mittragen, da sie enge wirtschaftliche Beziehungen zu den Regimes pflegen und insbesondere von der Lieferung billigen Öles profitieren, wurden von dieser Entwicklung überrascht. Zunächst unterstützten sie weiterhin die bisherigen Machthaber. Als diese in Tunesien und Ägypten nicht mehr zu halten waren, wurde versucht auf anderen Wegen die Wahrung der eigenen Interessen zu erreichen: Aufforderungen zur Kooperation an die neuen Regierungen gingen mit Drohungen und der Unterstützung der Niederschlagung von Massenprotesten in anderen Ländern einher. In Bahrain etwa, ist das Militär Saudi-Arabiens, mit Rückendeckung und ausgestattet mit Waffen aus den USA und Europa, einmarschiert um das dortige Regime gegen die Proteste der Bevölkerung zu unterstützen. Zahlreiche Tote und Verwundete waren bisher die Folge. Auch im Jemen geht das von den USA und Europa gestützte und mit Waffen ausgestattete Regime militärisch gegen die Proteste auf der Straße vor.
In Libyen soll nun offenbar ein weiteres Exempel statuiert werden um den imperialistischen Ansprüchen des Westens Nachdruck zu verleihen. Gaddafi war im Gegensatz zu den anderen Machthabern kein allzu verlässlicher Partner für die USA und Europa. Zwar zeigte er sich – entgegen seiner früheren antiimperialistischen Rhetorik – in den letzten Jahren zunehmend kooperativ mit dem Westen, machte jedoch auch deutlich dass er nach eigenem Belieben auch auf Optionen einer engeren Zusammenarbeit mit Staaten wie China, Russland und Venezuela zurückgreift.
Das Erstarken einer Oppositionsbewegung gegen Gaddafi, die sich teilweise direkt den westlichen Staaten andient, wurde zum Anlass genommen um zu versuchen, ein Ende der Ära Gaddafis durch eine militärische Intervention zu beschleunigen und gute Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit den zukünftigen Machthabern zu schaffen. Zudem dürfte die Intervention auch als Drohung gegenüber allen gedacht sein, die nicht länger die Einmischung der europäischen Staaten und der USA in die Angelegenheiten Arabiens hinnehmen wollen. Regierungen und Kapital der imperialistischen Staaten wollen schlicht auch weiterhin die Politik der Region zu ihren Gunsten bestimmen und haben sich mit der Intervention in Libyen, nach einer kurzen Phase in der sie in die Defensive geraten sind, wieder als aktive Player zurückgemeldet.
Die Rolle der Aggressoren und die faktische Beteiligung der BRD
Von Frankreich, Großbritannien und den USA begonnen, wird der Krieg mittlerweile offiziell von der gesamten NATO geführt. Bezeichnenderweise sind es gerade die Regierungen der NATO-Staaten, die in der Vergangenheit durch eine reaktionäre eigene Politik und die Unterstützung selbst der brutalsten Regimes in Erscheinung getreten sind. Frankreich und Italien rühmten sich zudem noch vor wenigen Wochen mit einer besonders guten Zusammenarbeit mit Gaddafi – er wurde feierlich von den Präsidenten empfangen, Handelsverträge wurden abgeschlossen und selbst über die Lieferung von neuen Waffen und französischer Atomtechnologie verhandelt. Nebenbei sei bemerkt, dass mit Italien das Land an den aktuellen militärischen Angriffen auf Libyen beteiligt ist, das sich in der kolonialen Besatzung bis 1943 für die Auslöschung von etwa einem achtel der gesamten libyschen Bevölkerung verantwortlich zeichnet.
Hat sich Gaddafi erst in den letzten Wochen von einem Demokraten zu einem Diktator entwickelt? Haben die am Krieg beteiligten Regierungen ihre Politik von heute auf morgen derart umgestellt, dass für sie ganz plötzlich Menschenrechte eine wichtige Rolle spielen und sie dafür sogar bereit sind Kriege zu führen? Ist es Zufall, dass das Militär Saudi-Arabiens, dass momentan in Bahrain Massaker anrichtet von genau diesen Regierungen unterstützt, ausgestattet und geduldet wird, während das libysche Regime, unter dem es der Bevölkerung zumindest was soziale Standards und die Lebensbedingungen angeht, vergleichsweise gut geht, bombardiert wird? Wer all das glaubt oder behauptet ist entweder dumm oder er lügt. Die angreifenden Armeen sind keine Heilbringer sondern Mörder im Dienste des westlichen Kapitals. Sie führen einmal mehr Krieg zur Durchsetzung der politischen und wirtschaftlichen Interessen der führenden imperialistischen Staaten. Sie haben in erster Linie die Kontrolle über die Öl- und Wasservorkommen Libyens (letztere vermutlich die größten in ganz Afrika), sowie allgemeine machtpolitische Interessen im Blick. Wie all zu oft üblich und als Strategie entwickelt, soll dies mit schönen Worten wie „humaner Friedenseinsatz“, „chirurgische Luftschläge ohne zivile Opfer“ und ähnlichem vertuscht werden.
Wie mittlerweile bekannt ist, gingen den Luftangriffen zur Unterstützung der Rebellen über mindestens mehrere Wochen verdeckte Operationen von amerikanischen und britischen Spezialeinheiten mit den Aufständischen voraus. Die Regierungen, die jetzt vorgeben die Zivilbevölkerung mit Bomben und Raketen schützen zu wollen, haben also im Falle Libyens maßgeblich überhaupt erst zu einer Eskalation beigetragen.
Die BRD ist momentan ausnahmsweise nicht direkt am Krieg beteiligt, indirekt dafür umso mehr: Mit der Aufstockung der Besatzungstruppen in Afghanistan und der Übernahme von zentralen Aufgaben dort, wie die AWAGS-Aufklärungsflüge, werden für die NATO Staaten, die in Libyen Krieg führen, Kapazitäten frei. Trotz zunehmender Konkurrenz, steht die BRD nach wie vor wie jeder NATO Staat zu den Bündnisverpflichtungen – jeder Krieg einer NATO-Armee wird heute von allen NATO-Staaten mitgetragen.
Zudem wird der Kriegseinsatz direkt von Deutschland aus, von der Kommandostelle für Afrika, dem AFRICOM der US-Streitkräfte in Stuttgart-Möhringen koordiniert und organisiert.
Mehr Unterstützung des Kriegs von Seiten Deutschlands ist bei der vielfachen militärischen Überlegenheit der NATO dem kleinen Staat Libyen gegenüber momentan auch überhaupt nicht nötig. Sollte sie nötig werden, haben die allermeisten Parteivertreter und Medien mit ihrer andauerenden massiven Kriegspropaganda schon eine gute Vorarbeit geleistet.
Befreiungsbewegungen, reaktionäre Kräfte und „linke“ Kriegsbefürworter
In Tunesien, Ägypten und anderen Ländern, in denen es in den letzten Wochen und Monaten zu Massenprotesten kam, war ersichtlich dass sie zumindest zu Teilen aus fortschrittlichen Kräften bestanden: Gewerkschaften, linke Parteien, Frauenrechtsgruppen und Menschenrechtsinitiativen waren und sind zentrale Elemente dieser Bewegungen. Viele von ihnen protestieren auch nach der Flucht der Machthaber in Tunesien und Ägypten noch gegen die eingesetzten Regimes und fordern einen grundsätzlichen Wandel in Richtung einer solidarischen oder sozialistischen Gesellschaftsordnung. Nicht zuletzt richten sich viele gegen eine Einmischung der westlichen Staaten und erinnern daran, dass sich gerade dadurch die alten Regimes erst so lange an der Macht halten konnten.
Anders verhält es sich mit der in den westlichen Medien immer wieder offensiv so genannten „Befreiungsbewegung“ in Libyen. Bei ihr waren bisher kaum fortschrittliche Symbole, vielfach stattdessen die Fahne des alten feudalen Regimes zu sehen. Nicht wirkliche demokratische Forderungen sind dort präsent, sondern vor allem eine Anbiederung an die NATO-Staaten. Im Gegensatz zu anderen Ländern, waren es auch weniger von großen Teilen der Bevölkerung getragene Massenproteste, sondern mehr direkte militärische Aktionen gegen die libysche Armee, die die Aktivitäten der Opposition in den letzten Wochen prägten. Zwar mögen auch in dieser breiten Bewegung fortschrittliche Kräfte aktiv sein und ein Ende des Gaddafi-Regimes herbeisehnen, die Ansprechpartner der westlichen Staaten sind jedoch andere: Mahmud Jibril etwa, ehemaliger Minister und Vorsitzender des Nationalen Wirtschaftsentwicklungsrates unter Gaddafi. Er hat in den USA studiert, gilt als ein Verfechter einer engen Zusammenarbeit mit den USA und Europa und ist momentan einer der Hauptansprechpartner für die Regierungen die am Krieg beteiligt sind. Er war einer der lautesten Rufer nach einer Intervention.
Die Propaganda des „Krieges für Menschenrechte“ zeigt bis hinein in (ehemals) linke politische Kreise seine Wirkung. Das Verbrechen, ein Land aus wirtschaftlichen und politischen Interessen zu bombardieren, eine eventuelle Invasion vorzubereiten und fragwürdigen politischen Kräfte an die Macht zu verhelfen, wird relativiert und legitimiert. Dort wo es kein Verständnis über den Kapitalismus gibt, als ein System in dem die Interessen der herrschenden Klasse nach innen durch Ausbeutung und Unterdrückung, nach außen immer wieder durch imperialistische Interventionen durchgesetzt werden, gibt es auch keine richtige Analyse der Verantwortung der linken Kräfte. Dass SPD und Grüne längst zum Lager der Kriegsparteien gehören und aus „Menschenrechtsgründen“ teilweise selbst die CDU rechts überholen, ist längst bekannt. Es gibt jedoch auch in Kreisen sich als besonders radikal verstehender linker Gruppen und Strömungen immer wieder Positionen, die imperialistische Kriege relativieren und als notwendige Maßnahmen gegen besonders barbarische Regimes darstellen. Sie leugnen oder ignorieren die Tatsache, dass die offene Barbarei in vielen Ländern ein zentraler Aspekt der Politik der imperialistischen westlichen Staaten ist und dass Kriege diese Situation nicht verbessern, sondern verschärfen. Faktisch haben sich alle Kriegsbefürworter auf die Seite des Kapitals geschlagen – also auf eine andere Seite der Barrikade, als die fortschrittlichen, sozialen und revolutionären Bewegungen der Welt.
Kein ruhiges Hinterland für die Kriegstreiber!
Es liegt in unserer Verantwortung, die Kriege und die imperialistische Politik die von Deutschland aus umgesetzt wird zu kritisieren und zu bekämpfen. In Bündnissen, bei Mobilisierungen und Aktionen gilt es gegen die kapitalistische Kriegspolitik aktiv zu werden. Es gibt viele Anlässe: Proteste gegen öffentliche Gelöbnisse oder andere Auftritte der Bundeswehr, direkte Aktionen gegen die militärische Infrastruktur, Kundgebungen und Demonstrationen gegen Krieg und Aufrüstung. Eine wichtige Rolle dabei spielt nicht zuletzt die Kontinuität und Organisierung in verbindlich arbeitenden Gruppen.
Unsere Solidarität gilt den Befreiungsbewegungen in allen Teilen der Welt die sich gegen die Politik der imperialistischen Staaten richten und die für die Perspektive einer befreiten Gesellschaft, ohne kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung und ohne rassistische, sexistische und religiöse Diskriminierung aktiv sind.
Gemeinsam gegen Krieg und Aufrüstung!
Sofortige Schließung der Infrastruktur der US-Streitkräfte wie das EUCOM und das AFRICOM in Stuttgart!
No war – but classwar!
Kundgebung Nein zur Lüge des humanitären Bombardements! Nein zum Krieg gegen Libyen!
Dienstag, 19. April um 18 Uhr auf dem Schlossplatz
danach um 19.30 Uhr Veranstaltung mit Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung
im DGB Haus Raum 245
Kundgebung vor dem AFRICOM der US-Streitkräfte in Stuttgart-Möhringen
Samstag, 23. April um 16 Uhr
Treffpunkt für eine gemeinsame Fahrt dorthin um 15 Uhr auf dem Schlossplatz!
Weitere Texte zum Krieg gegen Libyen:
www.arbeiterfotografie.com/nordafrika/index-nordafrika-0001.html
https://linksunten.indymedia.org/de/node/36307
http://imi-online.de/2011.php?id=2263
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www.jungewelt.de