Die Pläne der türkischen konservativ-islamischen AKP-Regierung, den Istanbuler Gezi-Park zu zerstören, um darauf eine osmanische Kaserne nachzubauen, in der ein Einkaufszentrum seinen Platz finden soll, stoßen seit Wochen auf die größten und militantesten Proteste seit Jahrzehnten. Trotz massiver Polizeigewalt mit mindestens fünf Toten, tausenden, zum Teil schwer, Verletzten und ebenfalls tausenden Verhaftungen, hat sich der Widerstand gegen das Bauprojekt mittlerweile zu einer landesweiten Revolte gegen die autoritäre Regierungspolitik ausgeweitet.
Begonnen hatte der Widerstand mit der Besetzung des Parks durch UmweltschützerInnen, die am 27. Mai dort ihre Zelte aufschlugen. Sie wollten verhindern, dass auf dem ca. 100 km² großen Gelände, einer der letzten Grünflächen in Istanbul, ein Einkaufszentrum errichtet und ein am nahen Taksim-Platz gelegenes Kulturzentrum abgerissen wird.
Als am Morgen des 28. Mai die ersten Baufahrzeuge anrückten, kam es zu den ersten Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den AktivistInnen. Die brutale Gewalt der Polizei, sowie der Einsatz von Gasgranaten und Wasserwerfern, erschütterten viele. Doch das was damit bezweckt werden sollte - Einschüchterung und das Ende der Proteste gegen das Bauvorhaben - erreichten das Gegenteil: Obwohl offiziell bereits fünf Menschen durch die Polizeiaktionen starben, zwölf erblindeten und ca. 7 000 verletzt wurden, wurde der Widerstand nur entschlossener und breitete sich schnell aus. In mehr als 70 Städten in der Türkei kam es zu Protesten und anderen Aktivitäten. Schon bald richtete sich der Widerstand nicht nur gegen das Einkaufszentrum, sondern beinhaltete auch Forderungen nach demokratischen Rechten und Freiheiten. Mittlerweile geht es großen Teilen der Bewegung um nicht weniger als den Sturz der Regierung.
Der Widerstand…
Dabei ist der Widerstand sehr unterschiedlich geprägt. So befinden sich eher konservative Kräfte gemeinsam mit der Schwulen- und Lesbenbewegung auf der Straße, Kemalisten und Nationalisten neben Kurden und Alewiten. Neben organisierten Fussballfans, sind auch kommunistische und revolutionäre Parteien und Gruppen ein wichtiger Teil der Bewegung. Die Gründe, weshalb die Menschen auf die Straße gehen, sind unterschiedlich. Während es den einen ausschließlich um den Stopp des Bauvorhabens geht, geht es anderen darum, die weitere Islamisierung zu stoppen und vielen um einen grundsätzlichen Systemwechsel. Dennoch ist das Potential der Bewegung immens und nehmen Revolutionäre, gerade was die direkte Konfrontation auf der Straße anbelangt, eine zentrale Rolle ein: Sie verfügen nicht nur über Erfahrungen in militanten Auseinandersetzungen, sondern sind auch in der Lage für Kontinuität zu sorgen. Auch entziehen sie durch ihre Präsenz bei den gemeinsamen Aktionen den jahrzehntelang geschürten reaktionären Ideologien den Boden. Tief verwurzelte religiöse und rassistische Vorbehalte und Spaltungen können so im Kampf für eine gemeinsame Sache behoben werden. So sehen sich selbst türkische Nationalisten, deren Basis auch an den Protesten teilnimmt, gezwungen, sich mit den kurdischen Mitstreitern zu solidarisieren.
Außerdem offenbart die Brutalität und Repression, die Polizei, Militär und Schlägertrupps im ganzen Land anwenden, den repressiven Charakter des Staates für breite Teile der Bevölkerung. Eine Identifizierung mit einem solchen Staat und seiner nationalistischen Staatsdoktrin, nimmt dadurch ab.
Auch wenn dies noch lange nicht zu einer revolutionären Situation in der Türkei führt, so ist zumindest ein Großteil der Bevölkerung gezwungen sich mit dem tatsächlichen Charakter von Staat und Regierung auseinanderzusetzen.
…gegen Repression und Reaktion…
Grundsätzlich sind Polizeigewalt und ein autoritärer Regierungsstil in der Türkei alles andere als neu. Schon seit Jahrzehnten kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen, werden linke und fortschrittliche Kräfte verfolgt, zu tausenden inhaftiert, gefoltert und Pressefreiheit und Demonstrationsfreiheit außer Kraft gesetzt. In den letzten Jahren wuchs durch eine Reihe unpopulärer Maßnahmen aber eine breite Unzufriedenheit mit der Regierung: So wurde ein Abtreibungsverbot eingeführt, der Konsum von Alkohol nach 22 Uhr untersagt - wovon ca. 1 Million LadenbesitzerInnen betroffen sind - oder ist das Küssen in der Öffentlichkeit untersagt worden.
Verschärfend kommt hinzu, dass die türkische Syrienpolitik, die die grenznahen Regionen des Landes in ein Aufmarsch- und Rückzugsgebiet für islamistische Terrorbanden verwandelt hat, von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird. Die eskalierende und verlogene Rolle der türkischen Regierung in Bezug auf den Krieg in Syrien wurde erst kürzlich wieder in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert:
Die Explosionen von zwei Autobomben in Reyanli im Mai, einer Stadt an der Grenze zu Syrien, bei denen laut türkischen Medien 56 Menschen gestorben sind, versuchte die türkische Regierung einer linken, mit den syrischen Regierungstruppen gegen islamistische Aufständische kämpfenden Gruppe unterzuschieben und so eine militärische Intervention im Nachbarland zu rechtfertigen. Wie von einer Hackergruppe veröffentlichte staatliche Geheimdokumente nahelegen, wurden die Anschläge aber von der Al-Nusra-Front, einer Al-Quaida nahen Organisation die Ausbildungslager auf türkischer Seite der Grenze unterhält, verübt - worüber die türkische Regierung vorab informiert gewesen war und nichts dagegen unternahm.
Um sich den westlichen imperialistischen Mächten weiter anzudienen und die eigene regionale Vormachtstellung auszubauen, geht Erdogan offenbar buchstäblich über Leichen.
Die genannten Gesetze, sowie der Vorfall in Reyanli haben mit dazu beigetragen, dass der Glauben vieler TürkInnen an ihre Regierung ins Wanken geraten ist. Auch das ist einer der Faktoren, weshalb der Widerstand so breit und kämpferisch geführt wurde und so schnell wuchs.
Letztlich erklärt sich die Heftigkeit des Widerstands aber auch aus der sozialen Situation in der Türkei und der autoritären und repressiven Krisenpolitik der Regierung. Denn trotz Meldungen vom „türkischen Wirtschaftswunder“, wurde das Land in den Sog der aktuellen kapitalistischen Krise hineingerissen. Arbeitslosigkeit und unsichere, schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse prägen nach wie vor den Alltag vieler Menschen in der Türkei. Nur mit einem – massgeblich von der BRD unterstützten – großen Repressionsapparat aus Polizei, Justiz, Militär und Geheimdiensten, gelang es bisher die Profitinteressen der herrschenden Klasse durchzusetzen.
…geht weiter!
Die AKP versucht aktuell einen Teil der Bewegung durch ihr vermeintliches Zugehen auf die DemonstrantInnen für sich zu gewinnen und einzubinden. Nicht zuletzt die Stürmung von Restaurants, Hotels und anderen Orten, in denen verletzte DemonstrantInnen versorgt wurden oder die Verfolgung und Inhaftierung von Ärzten, Journalisten, Anwälten und weiteren Menschen, teilweise durch Anti-Terror-Einheiten, zeigt aber, dass die brutalen Polizeiaktionen nicht nach lassen, sondern eher noch ausgeweitet werden. Die bewährte „Zuckerbrot und Peitsche“-Strategie mit Hilfe kleiner Zugeständnissen an den bürgerlicheren Teil der Bewegung, die militanten und radikaleren Teile zu isolieren und zu kriminalisieren, soll auch davon ablenken dass es um mehr als um ein Bauprojekt geht: Nämlich um die Auseinandersetzung zwischen den Profitinteressen großer Konzerne auf der einen und den Interessen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung auf der anderen Seite. An der sich langsam verbreiternden Erkenntnis, dass dies letztlich eine Systemfrage ist und auch die AKP-Regierung innerhalb des Kapitalismus austauschbar ist, gilt es anzuknüpfen!
Solidarität mit den Kämpfenden in der Türkei muss für uns dabei vor allem heißen die Rolle Deutschlands klar zu benennen. Denn trotz der halbherzigen Forderungen einiger deutscher Politiker an Erdogan, doch bitte etwas weniger heftig gegen die DemonstrantInnen vorzugehen, haben die deutsche Regierung und das deutsche Kapital ein vitales Interesse am Fortbestehen der aktuellen Machtverhältnisse ihres Nato-Partners Türkei. Und so hilft die Bundesrepublik weiter bei der Ausbildung von türkischen Soldaten und liefert seit Jahren Waffen und Ausrüstung für Polizei und Militär. Nicht zuletzt da das deutsche Kapital von den dortigen Privatisierungen und der Öffnung des türkischen Marktes enorm profitiert.
Lasst uns also gemeinsam auch hier auf die Straße gehen und unsere solidarischen Grüße an die Kämpfenden in der Türkei schicken!
Taksim ist überall, überall ist Widerstand - Her Yer Taksim, Her Yer Direnis!
Für Klassenkampf und internationale Solidarität - Kapitalismus bekämpfen!
Für den Kommunismus!
Demonstration: Samstag, 22. Juni | 14 Uhr | Lautenschlager Str.