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Einleitung

Der Zeitraum, dem wir uns in dieser Broschüre widmen wollen, schließt an die Novemberrevolution 1918 und den unmittelbar darauf folgenden Januaraufstand 1919 an. Die Novemberrevolution war der stärkste Ausdruck der revolutionären Arbeiter:innenbewegung, den Deutschland je erlebt hatte. Der Kaiser samt seinem Regime ist verjagt und der Weltkrieg beendet. Die kapitalistische Ordnung war heftig ins Wanken geraten. Die Menschen in der jungen Republik – ob unmittelbar und aktiv an den Ereignissen beteiligt oder nicht – hatten die Erfahrung gemacht, dass die Welt verändert werden kann. Eine geschichtliche Umwälzung – komprimiert in einen sehr kurzen Zeitraum – konnte am eigenen Leib erlebt werden. Die Arbeiter:innenklasse hatte erfahren, dass Klassenkampf, proletarische Selbstorganisation und der Aufbau von revolutionärer Gegenmacht keine leeren Phrasen sind, sondern dass mit diesen Mitteln tatsächlich etwas bewegt werden kann.

Dennoch war es in Deutschland nicht gelungen, die kapitalistische Ordnung zu stürzen und die Staatsmacht zu erobern. Eine bürgerliche Revolution hatte stattgefunden, sie war jedoch nicht in eine sozialistische Revolution hinüber gewachsen. Die revolutionären Kräfte scheiterten, das Proletariat hatte eine Niederlage erlitten – vorerst. Die Sozialdemokratie hatte einen Großteil der Arbeiter:innenklasse in die Irre geführt und unter den Einfluss des Opportunismus gestellt. Dieser Verrat wurde allen ersichtlich, die nicht ganz fest ihre Augen verschlossen. Bei ihnen „glühte der Hass auf die Verräter und den Kapitalismus. Es ist nicht die Zeit für Kompromisse! Die Arbeiter stellen sich dem Kampf auf Leben und Tod gegen das System, die Freikorps und den Polizeiapparat“. (Langer, Bernd: Revolution und bewaffnete Aufstände in Deutschland 1918 – 1923, AktivDruck und Verlag, Göttingen 2009, S. 12)

Eben dieses kapitalistische System sitzt 1919 noch nicht wieder fest im Sattel. Die Reaktion hat den Weltkrieg verloren, ist militärisch geschlagen und damit das schwächste Glied im internationalen imperialistischen Zusammenhang. Deutschland verlor ein Achtel seines Gebiets in Europa, seine Kolonien und seine Auslandskapitalien. Nach außen ist es ohnmächtig durch die Bedingungen des Versailler Friedensvertrages. Die Bourgeoisie ist geschwächt, denn sie wurde in ihren Grundfesten erschüttert. Sie hat aber ihre Macht behalten und die herrschenden Verhältnisse verteidigt. Chauvinismus und breitete sich aus, vor allem im Kleinbürgertum.

Am Klassencharakter des Staates, mit der Bourgeoisie als herrschende Klasse, hat sich zunächst nichts geändert. Die Herrschaft der Reaktion ist zwar noch nicht wieder vollständig hergestellt, sie rüstet jedoch schon zum Gegenangriff auf das Proletariat. Von Überprofiten außerhalb der eigenen Grenzen abgeschnitten, bleibt dem deutschen Kapital im Gegensatz zu den Siegern des Weltkrieges nur die eigene Arbeiter:innenklasse als Ausbeutungsobjekt. Aber ihm stehen teils bewaffnete und revolutionierte Volksmassen gegenüber, denen man zunächst Zugeständnisse (z. B. den Achtstundentag) einräumen muss, wenn man nicht die komplette Macht verlieren will. Das deutsche Kapital verlangt mehr als alle seine Konkurrenten nach einer Steigerung der Mehrarbeit, ist aber weniger als alle anderen dazu in der Lage, dies durchzusetzen. Das ist ein Grund für die vielen harten Klassenkämpfe, die schnell von Kämpfen um Reformen in Kämpfe um die Macht hinüberwachsen.

Antikommunismus wird in der Ideologie der herrschenden Klasse fest verankert. Sie muss, will sie an der Macht bleiben, die revolutionäre Bewegung zerschlagen und rasch die bürgerliche Republik aufbauen. Die Ereignisse im Herbst und Winter 1918/19 hatten vor allem gezeigt, dass eine Revolution ohne eine entsprechende Organisation nicht vollendet werden konnte. Die Revolutionär:innen hatten sich das Werkzeug einer Kampfpartei geschaffen, das zunächst jedoch eher einem zarten Pflänzchen glich, als einem ausgewachsenen Baum. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ist zu Beginn eher ein unerfahrener und uneinheitlicher Haufen, als ein zusammenhängendes Gebilde. In ihr organisieren sich in den Anfangstagen Intellektuelle, Künstler:innen, Linksradikale, aber kaum Arbeiter:innen. Die KPD befindet sich in der Aufbauphase und ist kurz nach ihrer Gründung in fast allen Landesteilen verboten, ihre Aktivist:innen arbeiten in der Illegalität und unter ständigem Verfolgungsdruck. Viele ihrer Anführer:innen wurden und werden verhaftet oder getötet: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg werden ermordet, Franz Mehring stirbt wenige Tage später, Leo Jogiches wird im März 1919 ermordet, die Partei wird ihrer charismatischsten und hellsten Köpfe beraubt, sie wird regelrecht „enthauptet“.

Schon auf dem Gründungsparteitag der KPD am 01.01.1919 zeigen sich starke linksradikale Tenden-zen. So herrscht zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich der Glaube an eine spontane Erhebung des Proletariats, die zum unvermeidlichen Zusammenbruch des kapitalistischen Systems führen werde. Die Erkenntnis, dass der Klassenkampf von der Partei organisiert und geführt werden muss und dass dabei an den Tagesforderungen der Massen angesetzt werden muss, hat sich noch nicht durchgesetzt. Die Mehrheit der Parteimitglieder ist gegen die Arbeit in Parlamenten und in den großen, bestehenden Gewerkschaften eingestellt. In der Rätebewegung wird der einzig gültige Weg zur Neuordnung der Gesellschaft gesehen. Die Mehrheit ist damit linksradikaler und sektiererischer als die Initiator:innen der endgültigen Abspaltung von der Sozialdemokratie und der kommunistischen Parteigründung.

Die KPD wähnt das System in seiner Endphase und geht davon aus, dass neue Kämpfe um die Macht unmittelbar bevorstehen würden. Eine weitere Zuspitzung der Klassenkämpfe werde innerhalb kurzer Zeit eine revolutionäre Situation herbeiführen. Die Auswirkungen der momentanen Niederlage werden in dieser Einschätzung, wie auch der damit verbundene Bewusstseinsstand der Massen, aber nicht genügend beachtet. Zudem hat die junge Partei aktuell weder die Zeit, noch die erforderliche Erfahrung, die notwendige politische Vorarbeit für den Kampf um die Macht zu leisten. Nun geht „es darum, die Partei aufzubauen und zu stärken, eine Politik auszuarbeiten, die den Bedingungen des Kampfes in Deutschland entsprach, den Opportunismus in den Reihen der Arbeiterklasse zu überwinden, die Bauern und andere Werktätige zu Verbündeten zu gewinnen, sie alle in den Kampf gegen Imperialismus und Militarismus zu führen und so auf die große letzte Auseinandersetzung, die sozialistische Revolution, vorzubereiten. Das aber war schwer in Deutschland, bitter schwer.“ (Kosing, Alfred (u.A.): Weltall Erde Mensch – Ein Sammelwerk zur Entwicklungsgeschichte von Natur und Gesellschaft, Verlag Neues Leben, Berlin, 1954, S.333 ff.)

Dennoch wurde diese Aufgabe von tausenden Kommunist:innen angegangen. In der, von der Nachkriegskrise, der Rückkehr von Soldaten und Invaliden aus dem Krieg, Arbeitslosigkeit, Hunger und Inflation, sowie der ständigen Gefahr von Rechts gekennzeichneten Zeit bauen sie eine revolutionäre Organisation auf. Diese muss sich und ihre Linie in den folgenden Jahren durch harte Kämpfe entwickeln. Sie muss die Theorie in der Praxis überprüfen und sie entsprechend anpassen. Sie wird sich irren, Rückschläge erleiden und wieder neu aufstellen. Sie entwickelt sich von einem verwegenen linksradikalen Grüppchen zu einer Massenpartei. 1922 – 3 Jahre nach Gründung – ist die KPD die größte kommunistische Partei der westlichen Welt. Laut dem marxistischen Historiker Chris Harman sogar die „einflußreichste und mächtigste revolutionäre Partei (…) die jemals – davor oder danach – in einer fortgeschrittenen Industriemacht bestand.“ (Harman, Chris: Die verlorene Revolution – Deutschland 1918-1923, Edition Aurora, FFM 1998 (Deutsche Ausgabe), S. 298)

Mittlerweile sind einhundert Jahre „seit den heroischen Kämpfen vergangen, in denen die deutsche Arbeiterklasse versuchte, die Errungenschaften der Novemberrevolution zu verteidigen und unsere gute Sache zum Siege zu führen. (…) Ein Rückblick mag belegen, was in dieser Periode alles geschehen ist, welche Opfer das werktätige deutsche Volk bringen musste (…)“. (Gotsche, Otto: Sturmsirenen über Hamburg (Kleine Arbeiterbibliothek 1), Damnitz Verlag München 1973)

In dieser Broschüre wollen wir diese harten (Abwehr-)Kämpfe und Aufstände der Arbeiter:innenklasse nachverfolgen, die in einem wechselseitigen Zusammenhang mit der rasanten Entwicklung der Kommunistischen Partei stehen. Welche Diskussionen und Auseinandersetzungen sich in dieser Partei entfalteten, wollen wir ebenso nachzeichnen.

Dies tun wir, um die Geschichte – unsere Geschichte und die Geschichte unserer Kämpfe – dem Vergessen zu entreißen. Dieses Vergessen geschieht nicht willkürlich, sondern unsere Geschichte wird von den Herrschenden bewusst totgeschwiegen. Die Auseinandersetzung führen wir auch nicht aus rein historischem Interesse. Wenn wir uns unserer Geschichte bewusst sind, können wir aus den geschlagenen Schlachten, aus den Fehlern, die ge macht wurden, aus den Erfolgen, die erzielt wurden und aus den Fragen, die noch unbeantwortet sind, unsere Schlüsse und Lehren ziehen. So wird unsere Geschichte zu einer Waffe im Kampf für ein besseres Morgen.

 

Weitere Auseinandersetzungen von uns, zusammen mit “Gestern – Heute – Morgen – Initiative für revolutionäre Gedenkpolitik”  mit Schlüsselmomenten revolutionärer Geschichte findet ihr in diesen Broschüren: