Am 8. Oktober mobilisieren Antimilitarist:innen und Internationalist:innen bundesweit zum Aktionstag gegen die international einflussreichen Rüstungskonzerne Heckler & Koch, Rheinmetall und gegen die Kriegspolitik des deutschen Staates. Ein guter Zeitpunkt um die derzeitige Krise (Teil I) und die „neuen, grünen“ Akteure (Teil II) genauer unter die Lupe zu nehmen.
Deutsches Kapital – Marschrichtung Großmacht
Das deutsche Kapital richtet sich neu aus. Kapitalistische Krisen sind die Phasen, in denen genau das nötig wird: Konflikte, politische Widersprüche treten dann deutlicher zutage, genauso wie sich die Verteilungskämpfe zwischen Oben und Unten und zwischen den imperialistischen Ländern zuspitzen. Was sind die materiellen Voraussetzungen und Besonderheiten der aktuellen Krise, wie sehen mögliche strategische Antworten der Kapitalistenklassen aus? Wir haben keine prophetischen Fähigkeiten, können aber einige wesentliche Entwicklungsrichtungen aufzeigen.
Eine Krise, viele Stränge
Die jetzige Krise hat ihren Kern, genau wie auch die sogenannte „Finanzkrise“ 2008/ 2009 in der kapitalistischen Überproduktion und der Über-Anhäufung von Kapital. Damals waren es geplatzte Bankkredite u.a. im Immobiliensektor, die die Krise losgetreten haben. Die Überkapazitäten in der materiellen Produktion haben erst im Zusammenhang mit dem Crash der Finanzmärkte zu Zusammenbrüchen z.B. von General Motors und Chrysler geführt.
Heute ist die industrielle Überproduktion der Ausgangspunkt der Krise: Seit Ende 2019 ist die Weltautoproduktion merklich am Kriseln und die deutsche Export-Industrie hat einen wesentlichen Anteil daran. Die weitere Krisenentwicklung in dieser Branche ist deshalb maßgeblich, weil sie als starke Kapitalfraktion großen Einfluss auf politische Entscheidungen in Deutschland hat und weil unzählige Zulieferer und Millionen von Arbeitsplätzen von ihr abhängen. Die Großkonzerne der Autoindustrie wissen sich aber durchaus noch zu helfen, um die Krisenfolgen vorerst zu verlagern: Mit geplanten Massenentlassungen, härteren Angriffen auf Arbeitsbedingungen in Tarifrunden und nicht zuletzt mit dem Einsacken der mit Corona begründeteten Kurzarbeitergelder, die wir mit der Sozialversicherung bezahlen. Dieser Kurs, zusammen mit der Fokussierung auf Sparten, die gerade noch profitträchtig erscheinen, wie der Verkauf von Luxusautos in China, steigert die Profite kurzfristig und lässt auch bei den Aktionär:innen noch die Sektkorken knallen. Das kann aber nicht über das eigentliche Gesicht der Krise hinwegtäuschen, das sich bei deutschen Zulieferern mit Insolvenzen und Betriebsschließungen schon wesentlich deutlicher zeigt. Die aufwändige Produktionsumstellung hin zu E-Autos und die internationale Schwächung der deutschen Konzerne durch das Auffliegen ihrer Abgasbetrügereien verstärken nur den Druck und die Aggressivität mit der sie um ihre Profite kämpfen werden.
Es zeichnen sich auch über diese Branche hinaus noch weitere Krisenherde ab, deren mögliche Wechselwirkung nicht unterschätzt werden sollte. Ein unvollständiger Einblick:
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Künstlich aufgeblähte Aktienkurse sorgen für Hochstimmung auf den Finanzmärkten, während Zentralbanken weltweit weiter die Summe des umlaufenden Geldes in Rekordhöhen treiben, um die Investitionsfreude zu erhöhen – das stößt schon jetzt an Grenzen und kann kaum vorhersehbare Einbrüche in verschiedenen Wirtschaftszweigen auslösen.
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Die politische Situation in einigen europäischen Staaten ist alles andere als stabil: Die Schuldenlast Italiens und der neoliberale Kurs Frankreichs sorgen für großen sozialen Unmut, die von der EU aufgezwängte Abwehr von Geflüchteten durch Griechenland und die Türkei produziert eine unhaltbare soziale Misere und mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ist eine weitere Verschärfung absehbar.
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Die Konfliktlinien zwischen der USA und der EU auf der einen Seite – Russland und China auf der anderen, verschärfen sich. Die alten imperialistischen Mächte aus dem Westen verschärfen Konfrontationen auf verschiedenen Ebenen: Handelsstreitigkeiten, politische Stimmungsmache, militärische Manöver. Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind gleichzeitig vielfältig, weshalb einerseits immer auch Gegentendenzen vorhanden sind, härtere Brüche sich andererseits aber auch sehr stark auswirken würden.
Vor diesen Hintergründen muss auch das Bemühen von Teilen des deutschen Kapitals, sich mit neuer aggressiverer Ausrichtung aufzustellen, betrachtet werden. Es geht um die Sicherung von zunehmend umkämpften Einflussgebieten, Märkten und Ressourcen in einer unruhigen Zeit. Es geht um die Formierung eines starken EU-Machtblocks nach deutschen Interessen und Vorgaben und es geht um die Ausbildung einer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht gegen die „Gefahr aus dem Osten“. Aus den letzten internationalen Kriseneinbrüchen konnte das deutsche Kapital vor allem wegen seiner Exportmacht gestärkt hervorgehen. Um das nun ein weiteres Mal zu schaffen, werden die Zügel angezogen:
Weniger Abhängigkeit zu den USA
Es geht darum Abhängigkeiten von den USA zu reduzieren. Mit einer „Beziehung auf Augenhöhe“ sollen die eigenen Großmachtambitionen ausgebaut werden. Dazu passt, dass in die USA weniger Waren und in erster Linie Kapital exportiert wird, um Standorte deutscher Konzerne aufzubauen. Dazu passt auch, dass besonders die deutschen Konzerne gestärkt werden, die sich stärker auf digitale Technologie konzentrieren, weil das deutsche Kapital, ebenso wie die anderen EU-Kapitalisten, den USA in diesem Bereich stark unterlegen ist. Digitalmonopole wie Siemens, SAP, BOSCH und Telekom erhielten nicht zufällig die meisten Rettungspakete von der deutschen Finanzoligarchie. Gemeinsam mit Frankreich ist der Plan die technologische, militärische und ökonomische Vorherrschaft der USA abzuschütteln. Die Durchsetzung der Nord-Stream-2 Pipeline zur Versorgung der EU mit russischem Erdgas und die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Huawei-Konzern für den Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland – beides trotz Drohungen aus den USA – belegen nicht etwa das freundschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland, Russland und China, sondern sind taktische Schritte auf dem Weg hin zu eigenständigerer imperialistischer Stärke.
Mehr Deutschland in der EU
Trotz Rückgang von Warenexporten hat Deutschland einen steigenden Überschuss an Kapital und Waren. Während die BRD ein Viertel ihrer Waren in die USA oder China exportiert, ist der Euroraum mit knapp 60% der Hauptabnehmer deutscher Produkte. Gleichzeitig gelang es keinem anderen EU-Staat, seine Schulden so stark zu senken wie Deutschland. Im Gegenteil: Nur Frankreich gelang ein minimales Absenken. In allen anderen, besonders Griechenland und Italien, nahm die Verschuldung seit der letzten Schuldenkrise nochmal kräftig zu. Das deutsche Imperialismusmodell hat in den letzten Krisen u.a. deswegen so erfolgreich abgeschnitten, weil es auf einen riesigen Niedriglohnsektor, aggressiven Export und sparsame Investitionen in die öffentlichen Bereiche (Bildung, Gesundheit, Verkehrswesen) baut. Von einer solidarischen Staatengemeinschaft kann bei der EU keine Rede sein, hier retten alle als erstes die eigenen Konzerne und eigenen Klasseninteressen.
Es handelt sich um ein kompliziertes Bündnis imperialistischer Konkurrenten und abhängiger kapitalistischer Staaten, in dem sich die Stärksten durchsetzen. Deutschland hat nach der letzten Krise 2008 deutlich und bewusst eine Führungsposition eingenommen und natürlich hat auch der Brexit die deutsche Führungsrolle gestärkt. Es wird aber schauen müssen wohin sein Waren- und Kapitalüberschuss weiter exportiert bzw. investiert werden kann. In der bestehenden EU gibt es jedenfalls keine unendlichen Möglichkeiten. Nach der von Deutschland diktierten Austeritätspolitik gegen Griechenland, Italien, Portugal und Spanien, die in erster Linie ein Angriff auf Löhne, Sozialleistungen und staatliches Eigentum war, gibt es dort nicht mehr viel zu holen. Kein Wunder, dass das deutsche Kapital schon seit Jahren besonderes Interesse an der EU-Anbindung der Ukraine zeigt – 46 Millionen Einwohner:innen, billige Arbeiter:innen, eine besonders ertragreiche Landwirtschaft und riesige Kohlevorkommen sind gute Argumente und eine neue Spielwiese für deutsches Kapital.
China und Russland
China ist zu einem großen Konkurrenten für die westlichen Imperialisten herangewachsenen und zugleich ein beachtlicher Abnehmer deutscher Waren und überschüssigen Kapitals. In der konfrontativen Linie ist der US-Imperialismus tonangebend, der seine Militärpräsenz im Indopazifik immer weiter ausbaut und sich auf militärische Eskalationen vorbereitet. Aber auch Deutschland hat jüngst ein Kriegsschiff mit 200 Soldat:innen, die „Fregatte Bayern“ dorthin entsendet, um „Flagge gegen China“ zu zeigen. Gegen Russland ist die militärische Drohgebärde schon wesentlich konkreter: Jährlich soll es nun unter dem Label „Defender Europe“ gemeinsame Manöver von zehntausenden US-Streitkräften und ihren europäischen Verbündeten geben, um den militärischen Schlag gegen das Land zu proben. Es sind die größten Manöver dieser Art seit Ende des Kalten Krieges.
Und dennoch hat das Verhältnis der BRD zu beiden Ländern einen Doppelcharakter. Die deutsche Wirtschaft und Politik bleibt trotz des Säbelrasselns bis auf weiteres von ihnen abhängig: Sie dienen als Rohstofflieferant, Werkbank und Absatzmarkt. Zugleich sind beide Länder ganz direkte Konkurrenten um Macht und Einflusssphären.
Imperialist Game
Das militärische und kriegerische Eskalationspotential steigt. Krieg als Mittel zur kapitalistischen Interessenverteidigung ist historisch betrachtet Dauerzustand. Was sich gerade aber ändert, ist, dass er durch die Krisenentwicklung zunehmend in greifbare Nähe rückt und ausschweifender wird. Krieg – auch zwischen den Imperialisten – wird immer dann eine realere Option je mehr den Kapitalisten ihre Profite wegbrechen. Die Auseinandersetzung mit den Ursachen und Triebkräften von Krieg ist für die meisten erst einmal weit weg. Der Kampf gegen die politischen Verantwortlichen und die wirtschaftlichen Profiteure darf dennoch kein Nischenthema sein und sollte unsererseits wieder mehr ins Blickfeld genommen werden. Die Bewaffnung der Herrschenden, ihre Militärs, ihre Kriege und Besatzungen dienen auf den ersten Blick meist kurzfristigen Interessen. Sie sind im Gesamten betrachtet aber mehr: Sie sind ein zugespitzter Teil des Klassenkampfes von oben mit dem die Herrschenden die Arbeiter:innenklasse in ganz besonderem Maße und systematisch entmachtet, verheizt und in Schach hält. Gerade die Aufrüstung von Militär im Innern und der Polizei spielt vor diesem Hintergrund eine zentrale Rolle: Die Bekämpfung sozialer Unruhen von Morgen schlummert schon im neuen Räumpanzermodell von heute.
Imperialist Players
Rheinmetall oder Heckler & Koch sind nicht nur Aushängeschilder der deutschen Rüstungsindustrie, sondern Giganten im weltweiten Kriegsgeschäft. Sie sind die ersten, die an Kriegen, Kriegsplanungen oder Kriegsdrohungen verdienen. Im Gegenzug gibt es das Versprechen einer Kriegstechnologie auf höchstem Niveau, das seinen Weg in nahezu jedes Konfliktgebiet findet, wo zahlungsfähige Nachfrage besteht. Exportbeschränkungen oder moralische Grenzen sind in der internationalen Rüstungslogistik des Kapitals bestenfalls taktische Herausforderungen. An wenig anderen Beispielen von Konzernmacht wird außerdem deutlich, wie eng Kapitalinteressen und bürgerliche Politik im Kapitalismus miteinander verflochten sind: Rheinmetall betreibt private militärische Ausbildungszentren für die Armeen von NATO-Staaten, während alle größeren Forschungs- und Entwicklungsaufträge des Konzerns aus dem Lager der NATO-Staaten und von der EU-Kommission kommen.
Anti-Imperialist Challenge
Mit der praktischen Konfrontation der Kriegstreiber und der Blockade von Infrastruktur wie bei Heckler & Koch, geht es nicht nur darum ein „Zeichen zu setzen“, sondern eigene Stärke zu entwickeln. Auch gegen einen so mächtigen Gegner wie die Rüstungsindustrie kann sich Protest entfalten. Das haben 2019 die Aktionen rund um das „Rheinmetall-Entwaffnen Camp“ im niedersächsischen Unterlüß gezeigt, bei denen Antimilitarist:innen Blockaden rund um eine zentrale Produktionsstätte errichteten, Sabotage-Aktionen auf nahegelegenen Truppenübungsplätzen durchführten und Standpunkte mit einer breit angelegten Bündnisdemonstration nach außen trugen. Eine offensive und selbstbestimmte Praxis kann vermeintliche Machtlosigkeit durchbrechen und ist Ausgangsbedingung für jede Diskussion über die antimilitaristische Perspektiven – und wenn sie erst einmal nur an einzelnen Punkten der Kriegsmaschinerie ansetzt.
Noch gibt es nicht viele dieser Ansätze, die den Anspruch haben die Kriegstreiber anzugreifen und dabei möglichst viele Menschen mit einzubeziehen. Sie haben aber eine besondere Bedeutung: Es ist im Großen gesehen unsere gesamte Klasse überall auf der Welt auf deren Rücken die Kriegstreiberei ausgetragen wird und für die sie als erstes zur Hölle auf Erden wird:
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In den Kriegsgebieten sind es immer die Arbeiter:innen und andere Ausgebeutete, die den Preis für die Schlachten der bürgerlichen Kriegsstrategen zu bezahlen haben.
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Und nicht zuletzt sind es die Arbeiter:innen in der Rüstungsindustrie, deren Arbeitskraft für die Produktion der Kriegsgeräte ausgebeutet wird. Sie haben nicht den Luxus, ihre Arbeitskraft mal eben in diesen oder jenen friedlicheren Bereich zu „investieren“.
Der Widerstand gegen die Kriegstreiber, ein revolutionär verstandener Antimilitarismus, ist nur ein Strang, um diese Verhältnisse, die das kapitalistische System immer wieder aufs Neue hervorbringt, zu überwinden. Er ist aber unverzichtbar, weil Kriegspolitik davon lebt, Arbeiter:innen für die Interessen der Kapitalistenklasse einzuspannen und die Konkurrenz der herrschenden Klassen verschiedener Staaten zur Konkurrenz der gesamten Gesellschaft zu machen.
Ein Bruch mit dieser ständig schwelenden Gefahr ist notwendig und möglich: Als Teil des Klassenkampfes für eine sozialistische Gesellschaft, in dem die Arbeiter:innenklasse sich dafür aufstellt, die Kapitalistenklasse zu entmachten, ihnen ihr Privateigentum zu entreißen, um es im Sinne der Mehrheit einzusetzen und ein Zusammenleben auf den Grundsätzen der Nachhaltigkeit und der Solidarität zu organisieren.
Eine Bewegung dorthin kann sich nur im konkreten Handeln herausbilden und nur durch praktische Erfahrungen Stärke entwickeln – gegen die Kriegstreiber im eigenen Land, im Militärapparat, in Konzernzentralen, Parlamenten und Regierungen.
Die geplante Aktion in Süddeutschland zielt genau in diese Richtung: Ausgerichtet gegen den zentralen Produktionsstandort eines führenden Rüstungskonzerns und unterstützt von verschiedenen linken Spektren bietet sie den Rahmen für antimilitaristische und revolutionäre Präsenz und selbstbestimmte Praxis in einer Gegend mit starker militärischer Infrastruktur – abseits von Friedensmärschen und Petitionen, die zwar symbolischen Wert haben aber ohne Perspektive von offensiver Gegenmacht im Schatten der bürgerlichen Kriegspolitik verharren werden.
Grüner Imperialismus
„Es ist an der Zeit, wieder eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben und als gestaltende Kraft voranzugehen.“ (Baerbock beim Gespräch der Bundesakademie für Sicherheitspolitik)
Die Grünen bereiten sich darauf vor die Regierung zu übernehmen. Es ist damit zu rechnen, dass sie zukünftig und langfristig eine tragende Rolle in diesem Staat spielen. Das tun sie nicht als friedliche Ökos, sondern als „Modernisierungspartei“ die Vorschläge macht, wie eine Krisenpolitik im Sinne der deutschen Kapitalistenklasse anzugehen ist. Die Hauptlinien ihrer Politik passen dabei zur Agenda, die auch CDU und SPD in Aussicht stellen: Sozialer Kahlschlag und eine offensivere imperialistische Außenpolitik. Das ist der Kurs hinter dem Bild der „erwachsen“ gewordenen Oppositionspartei. In ihrer Gesamtstrategie sticht besonders die aggressive Kriegspolitik hervor. Kaum eine andere Partei umreißt so deutlich strategische Perspektiven des deutschen Militarismus. Und genau die haben heute wieder Konjunktur: Durch die merkliche Zuspitzung sozialer Konflikte und globaler kapitalistischer Krisensymptome rücken ein militärisches Eingreifen auf dem internationalen Parkett und die Stärkung und Erleichterung der militärischen Eingriffsmöglichkeiten im Innern stärker ins Blickfeld der herrschenden Klasse. Nach 16 Jahren Ära Merkel steht die grüne Partei für einen neuen Kurs, der den deutschen Großmachtanspruch mit einer führenderen Rolle in Sachen kriegerischer Interessendurchsetzung verwirklichen soll.
Grüne Kapitalverstrickung
Für das deutsche Kapital sind die Grünen inzwischen eine ernstzunehmende Kraft. Auch wenn ein nicht unwesentlicher Teil der Kapital-Lobbygruppen heftig gegen die Grünen schießt und an einer CDU-Kanzlerschaft festhält, ist es kein Zufall, dass weite Teile der herrschenden Klasse die Grünen als tragfähigen Partner in Wirtschaft und Regierung sehen. Die Kapitalverbände und großen Wirtschaftsvertreter wissen was sie an den Grünen haben. Ihr „neuer Politik und Führungsstil“, der die imperialistische Industrienation etwas jünger und moderner daherkommen lässt und sich „nachhaltig und klimaschonend“ kleidet, steht nicht im Widerspruch zu ungeschönter kapitalistischer Machtpolitik. Das weiß sogar die CDU zu schätzen:
„Die Grünen unterscheidet von der SPD, dass sie unideologisch an Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik rangehen.“
(CDU Fraktionsvize Wudephul)
Es ist nur folgerichtig, dass auch Großkonzerne ihre Liebe zu den Grünen entdeckt haben und hohe Summen spenden. In den Spendenauflistungen ist neben dem – alles andere als biologisch ausgerichteten – Lebensmittelproduzenten Dr. Oetker auch Südwestmetall (SWM) zu finden, der den Grünen 2016 und 2019 100.000 Euro zukommen ließ. Nur die CDU erhielt mit 150.000 Euro mehr Zuwendung des Arbeitgeberverbandes. Zu den Mitgliedern des Kapitalistenverbandes gehören eine ganze Reihe von Rüstungsfirmen wie Heckler & Koch, Diehl Defence oder MTU. Da verwundert die Aussage des damaligen SWM-Chefs Wolf in Hinblick auf die Landtagswahl 2016 auch nicht:
„Ich sehe in Schwarz-Grün eine vernünftige Option, eine solche Koalition kann ich mir in Baden-Württemberg gut vorstellen.“
Eine Umfrage unter der deutschen Wirtschaftselite, die im April für die „Wirtschaftswoche“ durchgeführt wurde, zeigt, dass nicht wenige das ähnlich sehen: 26% wählen Baerbock, auf dem 2. Platz folgt der FDPler Lindner. Und Käser, der Vorstandschef von Siemens hat sogar geäußert Mitglied der Grünen werden zu wollen. Wenn das keine Liebeshochzeit im Establishment ist…
Dass die grüne Fan-Base in der internationalen Kapitalistenklasse groß ist, zeigt sich gerade an Baerbock, die schon vor ihrer Kanzlerkandidatur gefördert wurde. Sie wurde vom „World Economic Forum“ (WEF) zum Mitglied der „Young Global Leaders“ gemacht, zu denen neben vielen anderen auch Marc Zuckerberg und Emmanuel Macron gehörten. Es ist ein wesentlicher Teil des Programms Verbindungen zur kapitalistischen Elite in den USA herzustellen. Letztlich handelt es sich dabei um eine Art Aufzuchtstätte für Führungskräfte aus der ganzen Welt, die sich am US-Imperialismus orientieren. Baerbock wird außerdem zusammen mit ihrem Parteikollegen Özdemir vom „German Marshall Fund“ gefördert, einer Stiftung, die ebenfalls eine hochrangige Lobby für Politik im Sinne des US-Kapitals organisiert.
Das Verhältnis zwischen Kapitalgruppen und der Partei ist inzwischen so eng, das auch mal die Seite gewechselt wird. Daniel Holefleisch, Ehemann von Baerbock war bei den Grünen für die Kontakte zu Unternehmen, Wirtschaftsvertretern und das Spendensammeln zuständig. Dann wechselte er selbst in die Wirtschaft und ist seitdem „Senior Manager Public Affairs“, einfacher ausgedrückt: Lobbyist, beim DHL Konzern. Die Beteuerung der Grünen, Lobbyisten stärker kontrollieren zu wollen, bekommt so eine ganz neue Bedeutung…
Harter grüner Staat
Dass Schwarz-Grün für die alteingesessenen Kapitalkreise gut funktioniert, hat sich in den letzten drei Legislaturperioden in Baden-Württemberg gezeigt: Ministerpräsident Kretschmann, Liebling der Autokonzerne, sorgt sogar bei der tiefschwarzen Wählerschaft für Zufriedenheit. Und das hat nicht nur mit Wirtschaftspolitik zu tun: Das grün-schwarze Gespann hat in den letzten Jahren, im Einklang mit den Regierungen anderer Bundesländer, für die Verschärfung von Polizeigesetzen, den Ausbau von polizeilichen Befugnissen und die massive Einschränkung von Demonstrationsrechten gesorgt.
Auch in Sachen Flüchtlingspolitik kann ihre Doppelzüngigkeit nicht über ihre eigentliche Linie des „harten Staates“ hinwegtäuschen: In Eilappellen fordern sie im Bund die Aufnahme von Geflüchteten, gehören auf Länder-Ebene aber zu Abschiebemeistern. BaWü ist das Bundesland, das nach den unionsgeführten Ländern NRW und Bayern, im vergangenen Jahr die meisten Menschen abgeschoben hat. Auf Platz vier „mit den meisten Abschiebungen“ folgt das schwarz-grün regierte Hessen, wo die Grünen im Übrigen gerade die Freigabe der NSU-Akten blockieren. Als im Januar in Stuttgart von der SPD eine Initiative gestartet wurde, die Abschiebungen von „gut integrierten“ Geflüchteten in Vollzeitbeschäftigungen erschweren sollte, stimmten die Grünen gemeinsam mit der CDU und der AfD dagegen.
Eine ähnliche Methodik ist auch auf anderen Themengebieten zu erkennen: Die Bundespartei fordert eine Rassismus-Studie in der Polizei, die Kretschmann ablehnt und sich damit einmal mehr hinter seinen CDU-Innenminister und Hardliner Thomas Strobl stellt. Den Vogel schossen die Abgeordneten der Landespartei schließlich im Juli ab, als sie die Wahl eines AfDlers zum Verfassungsrichter im Landtag ohne Gegenstimmen hinnahmen.
Grüner Krieg
Besonders in Fragen des Militarismus sind die Grünen weit vorne. Sie machen wie keine andere Partei strategische Vorschläge wie die Verteidigungspolitik eines imperialistischen Deutschlands an der Spitze der EU zukünftig aussehen soll. Und sie nutzen ihren politischen Einfluss, um deutliche Vorstöße in diese Richtung in die politische Debatte einzuführen. Dafür zieht sich ihr Bundesvorsitzender Habeck auch mal den Stahlhelm an und posiert mit taktischer Weste im umkämpften Donbass im ukrainisch-russischem Grenzgebiet. Seine Forderung nach deutscher Unterstützung der Ukraine mit „Defensiv“-Waffen ist nicht nur ein harter Vorstoß, weil die Unterscheidung zwischen defensivem und offensivem Kriegsgerät unerheblich ist, wenn es im Kern darum geht, den Krieg weiterzuführen, sondern auch, weil er sich damit offen für Rüstungsexporte in Kriegsgebiete einsetzt. Besonders perfide an der Sache ist, dass er offensichtlich kein Problem damit hat, im Mai 2021, ziemlich genau 80 Jahre nach dem Beginn des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion, wieder mit einem Stahlhelm auf dem Schädel den Krieg gen Osten zu befeuern.
Schon vor sieben Jahren unterstützten die Grünen beim politischen Umsturz in der Ukraine die faschistische Partei Swoboda und den „Rechten Sektor“. Die grüne Heinrich-Böll-Stiftung bemühte sich, die Swoboda, die offen „gegen Russen, Polen und Juden“ hetzt und deren Funktionäre keine Scheu hatten, sich mit der sächsischen NPD-Landtagsfraktion zu treffen, vom Faschismus-Verdacht freizusprechen. Währenddessen sahen die Fraktionsvorsitzende Göring-Eckart und Özdemir in der Maidan-Bewegung „Leute, die für Freiheit kämpfen“ und ein „Friedensprojekt“, obwohl die paramilitärisch organisierten Milizen vom „Rechten Sektor“ eine wesentliche Rolle in der Straßenbewegung einnahmen und das mit offener Nazi-Symbolik wie SS-Runen auch zur Schau stellten. Um den Druck gegen Russland zu erhöhen und den EU-Einfluss nach Osten zu erweitern, scheint jedes Mittel recht zu sein. Die Schwelle zum offenen Krieg ist noch nicht erreicht. Es geht ihnen im Einklang mit den Kapitalfraktionen, die sich vor allem an den USA orientieren eher darum ein politisches Klima zu erzeugen, dass es ermöglicht noch härtere Maßnahmen durchzusetzen und potenzielle Bündnispartner Russlands einzuschüchtern.
Der militärische „Tabu-Bruch“ ereignete sich 1999, als der grüne Außenminister Fischer die deutsche Beteiligung am NATO-Angriff gegen das damalige Jugoslawien einleitete und das erste Mal seit 1945 deutsche Soldaten in den Krieg schickte. Schon damals ging es um die Osterweiterung von NATO und EU. Kurz danach, 2001 ging es mit der Unterstützung des Afghanistankriegs mit mehreren tausend Soldaten unter Führung der USA weiter. Was sich bei ihnen besonders durchzieht, ist die „Menschenrechtsbegründung“ für Kriegspolitik: Fischer behauptete in Jugoslawien gehe es darum einen „neuen Holocaust zu verhindern“ und zog ernsthaft den Auschwitz-Vergleich, um die NATO-Bombardements zu begründen. Und heute hält der Grüne Sprecher für Osteuropapolitik Sarrazin Reden im Bundestag, in denen er davon spricht, dass es darum gehen müsse sich in Russland „für Menschenrechte, für die Zivilgesellschaft einzusetzen“, was aber nur mit ihrem harten Kurs gegen Putins „lupenreine Autokratie“ möglich sei. Die autoritären und repressiven Verhältnisse in anderen Staaten vorzuschieben, um eigene Interessen militärisch durchzusetzen, ist ein alter Hut, den sie sich aber immer wieder gerne anziehen.
Es war schon in den vergangenen 20 Jahren eine Verbindung von machtpolitischer und humanistischer Argumentation, mit der die Grünen ihre Kriegspolitik begründeten: Fischer setzte sich für die Teilnahme am Afghanistankrieg auch ein, weil eine Nicht-Teilnahme seiner Einschätzung nach die internationale Schwächung Deutschlands zur Folge gehabt hätte. Heute bekommt die machtpolitische Argumentation aber deutlich mehr Gewicht in den öffentlichen Verlautbarungen – und das passt zur Lage des deutschen Imperialismus:
„Europa läuft Gefahr zum Spielball der Großmächte zu werden. […] Wenn Europa in Zukunft seine Werte und Interessen durchsetzen will, muss die EU weltpolitikfähig werden. […] Das erfordert unangenehme Entscheidungen. […] ohne gemeinsame militärische Kapazitäten ist jede Machtwort gegen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen unglaubwürdig.“ (Impulspapier der Grünen-nahen Böll-Stiftung 2020)
Baerbock, Joschka Fischer, Habeck oder Göring-Eckart: Alle machen sie uns eines klar. Es ist das Gleiche in grün. Eine Bundesregierung unter grüner Beteiligung würde die Politik des Militarismus, inneren Aufrüstung und des Sozialabbaus verschärfen. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass eine friedliche Politik im Kapitalismus möglich oder gewollt ist. Letztlich wollen die Grünen eine Wirtschaft – zur Not mit noch weiteren Kriegen – aufrechterhalten, die eigentlich schon längst überwunden gehört.