Tausende zieht es seit einigen Wochen regelmäßig auf den Cannstatter Wasen in Stuttgart. Aus der halben Republik reisen Menschen an um an den Kundgebungen von „Querdenken 711“ teilzunehmen. Aber auch aus dem Großraum Stuttgart nutzen viele die Gelegenheit um gegen die Einschränkungen der Freiheitsrechte durch die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Von Anfang an waren AfD´ler, Identitäre und offene Nazis ein sichtbarer und nicht unwesentlicher Teil dieser Zusammenkünfte. Eine weitere, große Gruppe setzt sich aus ImpfgegnerInnen, fundamentalistischen Christen und Verschwörungsfans des Youtubers Ken Jebsen zusammen. Darüber hinaus nehmen auch eine ganze Reihe von Menschen teil, die sich wohl tatsächlich Sorgen darüber machen, wie schnell und reibungslos Grundrechte in den letzten Monaten außer Kraft gesetzt wurden. Es mag zudem einige geben, die die Angst vor Kurzarbeit und vor Entlassungen auf die Straße treibt oder die Wut darüber, dass für die Automobilindustrie Milliarden da sind, für Beschäftigte z.B. im Einzelhandel aber die Arbeitszeiten verlängert werden sollen – zu sehen oder hören ist diese Position bei den „Grundgesetz-Demos“ aber nicht.
Rechts, links, Mitte – Hauptsache „Widerstand“?
Allgegenwärtig ist dagegen die Behauptung, in diesen Zeiten sei es gleichgültig ob man rechts, links oder „Mitte“ sei – jetzt gehe es um „gemeinsamen Widerstand“, um „unsere Freiheit“. Welche Freiheit gemeint ist, gegen wen sich der Widerstand richten soll und warum beides nicht links ist, sondern vielmehr darauf ausgerichtet ist, die bestehenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten, zeigt sich schnell: Das neue Polizeigesetz für Baden-Württemberg, das dem Staat noch mehr Überwachungsmöglichkeiten geben soll, bleibt unerwähnt. Auch dass die Bundeswehr im Zuge der Corona-Bekämpfung im Inneren eingesetzt wird, anstatt die Mittel für diesen Einsatz in bessere Schutzausrüstung in den Krankenhäusern zu investieren, interessiert die Rednerinnen und Redner auf dem Wasen nicht. Dass Maßnahmen wie Kontaktverbote oder Ausgangssperren bewährte Mittel sein können um z.B. gegen Streiks vorzugehen, findet sich bei den FreiheitsfreundInnen ebenso wenig. Gerade in der sich anbahnenden Wirtschaftskrise sind solche Kämpfe zu erwarten.
Letztlich bleibt von der Freiheit, die hier geschützt werden soll nicht vielmehr übrig, als die Freiheit beim Einkaufen keine Maske mehr tragen zu müssen, in den Urlaub zu fahren wohin man will und endlich wieder ganz frei in der Stammkneipe einen heben zu können.
Noch inhaltsleerer ist in diesem Kontext nur die Phrase vom „Widerstand“: Es geht bei dem Widerstand von „Querdenken-711“ und Co. weder um die bereits stattgefundenen oder drohenden Entlassungen, während an die Aktionäre fleißig weiter Dividenden ausgeschüttet werden, noch um die 60% Kurzarbeitergeld, von dem viele nicht leben können, auch nicht um die sklavenähnlichen Zustände auf deutschen Spargelfeldern und in den Fleischfabriken, in denen rumänische ArbeiterInnen für einen Hungerlohn schuften müssen und sich gerade massenhaft mit COVID-19 infizieren. Schon gar nicht soll dagegen Widerstand geleistet werden, dass in den Heimen und Lagern für Geflüchtete überhaupt kein Infektionsschutz möglich ist und die Menschen, die dort eingepfercht sind einfach der Infektion überlassen werden. Kurz: Das politische und ökonomische System, das für dieses Krisenmanagement verantwortlich ist, der Kapitalismus, bleibt unangetastet.
Und gegen wen oder was soll dann Widerstand geleistet werden? Wahlweise gegen verborgene dunkle Mächte oder ganz konkret gegen Bill Gates. Das ist eine sehr bequeme „Analyse“, denn beide Feindbilder sind von hier aus unerreichbar. Der Widerstand gegen einen allmächtigen Einzelkapitalisten in den USA – der ohne Zweifel sofort enteignet gehört – oder noch mächtigere anonyme Kräfte kann zwangsläufig keine konkreten Formen, wie z.B. Streiks annehmen. Der eigene Chef, der sich mit der Kurzarbeit die Lohnkosten spart, wird so ebenfalls aus der Schusslinie genommen, wie die ganzen anderen deutschen Krisengewinner: Der schwäbische Textilproduzent Trigema, der auf einmal für 12 Euro das Stück Textilmasken an Krankenhäuser vertickt, die BMW-Erben Qandt und Klatten, die sich dieses Jahr „nur“ 700 Millionen Euro Dividende ausschütten lassen wollen – wie selbstlos! – und die unzähligen deutschen Kapitalisten, die sich ihre Verluste gerade von der Allgemeinheit bezahlen lassen. So tragen Leute wie Ken Jebsen dazu bei dieses System aufrecht zu erhalten, weil sie die Wut auf einzelne, weit entfernte Akteure lenken, aber das System Kapitalismus und dessen Profiteure vor der eigenen Haustür verschonen.
Sag mir welcher Klasse du angehörst und ich sag dir welche Freiheit du meinst
Diese Ausrichtung der Proteste verwundert kaum, wenn man sich anschaut, wer sie maßgeblich organisiert. In Stuttgart tritt als Anmelder Michael Ballweg auf, ein IT-Unternehmer, der hauptsächlich für Großkonzerne wie Bosch arbeitet. Natürlich hat einer wie er auch in dieser Krise nicht die gleichen Interessen wie die Angestellten und ArbeiterInnen von deren Arbeitskraft er lebt. Als Teil des Kleinbürgertums will er so wie die Konzerne für die er arbeitet, möglichst schnell wieder die Freiheit zurück. Die Freiheit, ungestört Profite zu machen.
Und der Rest? Gibt es dort nicht dennoch viele Leute, die einfach die Freiheiten des Grundgesetzes bedroht sehen? Zuerst einmal: Das Grundgesetz konnte weder in der Vergangenheit kapitalistische Ausbeutung verhindern, noch wird es das in Zukunft tun und schon gar nicht irgendwelche Lösungen für die kommende Wirtschaftskrise bieten. Dennoch gilt es die wenigen Grundrechte, die dort garantiert werden zu verteidigen. Nur, wie kommt man darauf das mit AfD, Nazis und evangelikalen Christen tun zu können? Haben sich die Rechten dafür in der Vergangenheit irgendwie qualifiziert? Vielleicht beim Kampf um das Grundrecht auf Asyl oder dem Grundrecht auf Religionsfreiheit z.B. für Moslems? Oder dem Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung für Homosexuelle? Historisch haben die Faschisten alle Freiheiten in den Staub getreten, außer natürlich der Freiheit die Gewerkschaften zu verbieten, hemmungslos auszubeuten, der Freiheit Massenmord zu begehen und andere Länder zu überfallen…
Dieser Weg, wird ein weiter sein, steinig und schwer…
Statt den hohlen Phrasen von „Widerstand und Freiheit“, den die Rechten und Bürgerlichen zu bieten haben, sind die Antworten von uns Linken komplexer. Vor allem aber fordern sie mehr von jedem und jeder einzelnen ab: Der Weg aus dieser Krise, wie auch aus dem ganzen krisenhaften System, führt über reale Kämpfe. Kämpfe mit Gegnern, die nicht unsichtbar in einer geheimen Weltregierung oder unerreichbar über dem Atlantik sitzen, sondern mit den eigenen Chefs, mit „unseren eigenen“ Kapitalisten, mit ihren Lobbyverbänden und natürlich auch mit einem Staat, der so aufgebaut wurde, um möglichst allgemeingültig die Interessen der Besitzenden durchzusetzen. Dieser Weg ist schwieriger als Neuwahlen zu fordern und „Merkel muss weg!“ zu rufen. Es ist aber auch der einzige, für alle, denen es um wirkliche Veränderung geht.
Momentan erleben wir die ersten Auswirkungen einer schweren Krise des Kapitalismus. Ohne ihren exakten Verlauf bestimmen zu können, deutet alles darauf hin, dass sie zu großflächigen Massenentlassungen führen wird und die Kosten für die Konjunkturpakete uns Lohnabhängigen, der Klasse der ArbeiterInnen aufgebürdet werden soll. Schon jetzt verschärft sich zudem die Konkurrenz unter den verschiedenen kapitalistischen Machtblöcken, was die Kriegsgefahr weiter ansteigen lässt. Demokratische Rechte werden seit einigen Jahren schon Stück für Stück beschnitten, aber nicht um uns allen einen geheimen Überwachungschip zu spritzen, sondern um den Widerstand gegen solche Krisenerscheinungen klein halten zu können.
Es gilt daher jetzt Widerstand gegen die alltäglichen Auswirkungen der Krise aufzubauen. In vielen Städten hat das in den letzten Wochen schon begonnen: Von kleineren Aktionen gegen die Privatisierung des Gesundheitssystems vor Krankenhäusern, dagegen, dass Betriebe trotz Corona-Fälle weiterproduziert haben, als auch über die Unterstützung der KollegInnen in der Logistik oder im Einzelhandel. Und mit gemeinsamen größeren Aktionen wie am 1.Mai, die unsere gemeinsame Interessen als Klasse – und nicht als Volk – herausstellten. Daran gilt es in den nächsten Wochen anzuknüpfen und breite Proteste gegen die Krise zu organisieren.
(Groß-)Unternehmer, Rechte aller Couleur und die Aluhüte, stehen in diesem Kampf auf der anderen Seite der Barrikade.
Klassenkampf statt Querfront! Für die befreite Gesellschaft!