Wir können an dieser Stelle keine abschließende medizinische Bewertung des Virus und der Folgen der Masseninfektion geben, die großen Teilen der Bevölkerung zweifellos bevorsteht – WissenschaftlerInnen gehen von mindestens 70% der Bevölkerung aus. Dabei kann die Lungenkrankheit verschieden verlaufen: Von leichten Symptomen, die wenig auffallen oder einschränken, bis hin zur tödlichen Lungenentzündung. Zentral ist allerdings, dass die Folgen der Infektion für zahlreiche Menschen fatal sind. Vorerkrankungen und Alter sorgen für eine konkrete Lebensgefahr durch das Virus. Es steht außer Frage, dass die Situation ernst ist und dass es ungemein wichtig ist, die Ausbreitung zu verlangsamen und soweit wie möglich einzudämmen. Aber was gerade in unserer Gesellschaft passiert ist nicht einfach nur die vernünftige Reaktion auf einen gesundheitlichen und medizinischen Notstand. Es ist der Notstand, den die Herrschenden dieses Gesellschaftssystems organisieren – diejenigen, die dafür sorgen, dass 50% der deutschen Bevölkerung nur 1,4% des gesamten Reichtums in Land besitzen, dass hier der größte Niedriglohnsektor Europas errichtet wurde, dass Klimaschutz hinter Konzerninteressen gestellt wird und Waffen in Kriegsgebiete geliefert werden. Sind das diejenigen, die so sehr an dem Wohlergehen der einfachen Bevölkerung interessiert sind, dass sie die gesamte Gesellschaft dafür auf den Kopf stellen? Nein!
Ein krankes System!
Warum erzittert das deutsche Gesundheitssystem vor der Aussicht, dass hunderttausende Infizierte behandelt und isoliert, und noch wesentlich mehr Menschen, getestet und im Verdachtsfall in kontrollierter Quarantäne gehalten werden müssen? Weil es schon seit langem nach Profitinteressen ausgerichtet wird und nicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung! Das ist schon seit Jahrzehnten Regierungsprogramm. Private Konzerne betreiben immer mehr Krankenhäuser und Praxen und auch die staatlichen Einrichtungen müssen betriebswirtschaftlich rentabel sein. Das heißt: Private Krankenhäuser werden auf lukrative Behandlungen zugeschnitten und ansonsten zusammen gekürzt. Die Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen richtet sich nach der Anzahl von Patientenfällen – pro Kopf gibt es eine Pauschale vom Staat.
Auf dieser Grundlage lässt sich kein flächendeckendes Versorgungsnetzwerk bereitstellen, das sowohl in abgelegenen, als auch in stark bevölkerten Gegenden immer genug Personal und Infrastruktur bereithält, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Im Gegenteil: Es geht darum die Einrichtungen immer voll ausgelastet und am Limit zu halten. Unterbesetzung, Stress und Überlastung beim Personal sowie Krankenhausschließungen wegen schlechter wirtschaftlicher Bilanzen sind schon seit Jahren die Folgen. Sie rächen sich jetzt. Es gibt zu wenige Betten in den Intensivstationen, ungenügende Reserven an medizinischem Material und zu wenige Pflegekräfte. Die Beschäftigten und die PatientInnen leiden gleichermaßen darunter, dass Krankheit zur Quelle von Profit gemacht wurde. Was über Jahrzehnte kaputtgespart wurde, kann jetzt nicht in wenigen Wochen wieder aufgebaut werden. Wie die Situation heute aussehen würde, wenn tatsächlich, wie die kapital-freundliche Bertelsmann Stiftung erst kürzlich forderte, ca. 50% der Kliniken aus Kostengründen geschlossen worden wären, will man sich gar nicht erst nicht ausmalen.
Medizin für‘s Kapital!
Die Bundesregierung sorgt sich aber um etwas ganz anderes: Die Unternehmen und Konzerne sollen bloß keinen Schaden nehmen. Unternehmen, deren Lieferketten gestört werden oder deren Produktnachfrage zurückgeht, sollen unbegrenzte (!) Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden und mit Steuererleichterungen begünstigt werden. Mit der Vereinfachung und schnelleren Genehmigung von Kurzarbeit und staatlichen Zuschüssen in Form von Kurzarbeitergeld wird den Unternehmen weiter unter die Arme gegriffen. Sie können so die Arbeitszeiten von Beschäftigten kürzen und damit Produktionskosten einsparen. Damit Unternehmen ihren eigenen Arsch retten können, werden wir dann mit 60 Prozent unseres Lohns abgespeist. Wenn ein Kind mit im Haushalt lebt, kommen wir auf ganze 67 Prozent. Das ist ein harter Schlag – gerade in den schlecht bezahlten Branchen, in denen vor allem Frauen arbeiten. Diejenigen, die in den letzten Jahren etwas beiseite legen konnten, werden an ihre Ersparnisse gehen müssen, alle anderen stehen vor der viel kritischeren Frage wie sie künftig ihre Miete und sonstige nötige Ausgaben tätigen sollen. Besonders hart wird es für die unzähligen prekären ArbeiterInnen und (Schein-)Selbstständigen, die nun vor der Existenznot stehen. Das Geld, das laut Olaf Scholz für die Rettung von Unternehmen ausreichend zur Verfügung steht, wird verweigert, wenn es um die Gesundheit und die Existenzsicherung der ArbeiterInnen geht.
Bevölkerungsschutz oder Schutz vor der Bevölkerung?
Doch wir sind nicht nur diejenigen, auf deren Rücken die Unternehmen am Leben gehalten werden sollen. Wir müssen nun auch das staatliche Versagen im Gesundheitssystem ausbaden und unsere Freiheitsrechte werden immer weiter eingeschränkt. Weil das deutsche Gesundheitssystem mit einer größeren Anzahl an Corona-Infizierten maßlos überfordert wäre, muss nun versucht werden mit der Abriegelung immer größerer Teile des öffentlichen Lebens die Ausbreitung des Virus einzudämmen – eine Maßnahme, die wie in Italien zu sehen ist, ohne ein gut ausgebautes Gesundheitssystem nicht zwingend zum Erfolg führt. Parallel zum Lock-Down müssen die Beschäftigten in den geöffneten Betrieben mit mangelnden Schutzmaßnahmen weiterarbeiten, was die Einschränkungen des öffentlichen Lebens wiederum absurd erscheinen lässt.
Für die Umsetzung übernimmt die Polizei die Kontrolle über das öffentliche Leben: Bereitschaftspolizei um Bars zu schließen und Spielplätze zu leeren wäre noch vor kurzer Zeit nicht denkbar gewesen. So sehr der Schock über die neuen Einschränkungen uns aktuell im persönlichen Alltag trifft: Es ist der schärfste Angriff auf unsere Rechte, den es seit langer Zeit gab! Alle Möglichkeiten, unsere Rechte und Interessen vorzubringen und umzusetzen, sind nun über den Haufen geworfen: Arbeitskämpfe, gewerkschaftliche und betriebliche Organisierung, öffentlicher Protest, unabhängige politische und soziale Initiativen und Gruppen – nichts wird sich mehr entfalten und artikulieren dürfen, das abseits der politischen und ökonomischen Interessen der Herrschenden steht. Hinzu kommt eine mediale Berichterstattung, die uns in erster Linie vorhält, wie wir uns am besten an die ständig neuen Verordnungen anpassen sollen. Mal als Panikmache, mal angeblich ganz vernünftig mit Begriffen wie „Solidarität“ und „Verantwortung“. Wie lange das so bleibt ist unklar, genauso unklar ist allerdings, wie der „Normalzustand“ nach Corona aussehen wird. Die neuen Befugnisse passen perfekt zur, schon lange erstarkenden, rechten „Law-and-Order“ Politik. Diejenigen, die sich dagegen gewehrt haben oder in kommender Zeit dafür bereit wären, sind erst einmal neutralisiert. Die großen Banken und Konzerne bekommen ein politisches Programm für ihr Krisenmanagement serviert, das ihnen auch nach dem Virus unter die Arme greifen wird.
Die Macht der staatlichen Stellen wächst ins Unermessliche und privilegierte PolitikerInnen bestimmen, wem Schutz gebührt und wer sich selbst überlassen bleibt: Menschen, die über keinen festen Wohnraum verfügen oder in Großeinrichtungen leben – wie in Altenpflegeheimen, Wohnheimen für Menschen mit Behinderung, in Wohnungslosen- oder Geflüchtetenunterkünften, Frauenhäusern etc. – haben gar nicht die Möglichkeit sich durch Isolation vor dem Virus zu schützen. Tafeln zur Nahrungsmittelversorgung von Menschen in Armut werden geschlossen. Für Frauen, die bis heute auch in Deutschland von partnerschaftlicher Gewalt betroffen sind, kann eine Quarantäne in den eigenen vier Wänden tödlich enden. Das lahmgelegte öffentliche Leben ist nicht nur für die Beschäftigten im Einzelhandel, in den sozialen Einrichtungen, Bildungseinrichtungen usw. ein Problem. Während der Staat sich bei der Einschränkung sozialer Kontakte und vor allem für die Unterstützung der Wirtschaft groß ins Zeug legt, sind unsere gesellschaftlichen Interessen plötzlich die Probleme der Einzelnen. Wenn Eltern sich zwischen der Betreuung ihrer Kinder und Lohnarbeit entscheiden müssen, wenn die Entlassenen der Gastro-Betriebe ihre Miete nicht weiter bezahlen können, wenn alte Leute, die ja am besten ganz zu Hause bleiben sollen, nicht mehr an Essen und Medikamente kommen, dann wird bestenfalls an die Solidarität aller appelliert. Auf internationaler Ebene sind es die Geflüchteten, die nun mit der vollständigen Schließung der europäischen Außengrenzen konfrontiert sind. Besonders in den Lagern z.B. auf der griechischen Insel Lesbos ist die Situation dramatisch – sie sind völlig überfüllt und die hygienischen Standards sind auch unter normalen Bedingungen menschenunwürdig. Ihnen verwehrt die EU das Recht auf Infektionsschutz. Die Aussetzung des Asylrechts in Griechenland und das dreckige Spiel des türkischen Präsidenten Erdogan, der mit seiner Taktiererei an der griechischen Grenze tausende Geflüchtete unsäglicher Gewalt aussetzte und in eine humanitäre Katastrophe trieb, scheint im Angesicht der Virusgefahr in Politik und Medien keine Rolle mehr zu spielen.
Kein Kampf ist auch keine Lösung!
Das Corona-Virus ist eine Bedrohung für uns alle. Ganz besonders für uns, die von unserem Lohn und von den Entscheidungen der gesellschaftlichen Eliten abhängig sind. Natürlich müssen wir zur Virus-Eindämmung Maßnahmen treffen, die unser soziales Leben einschränken. Aber dabei dürfen wir uns nicht entmachten lassen! Die langfristige Bedrohung, auf die wir uns einstellen müssen, kommt nicht von einem Virus. Sie geht aus von all den, im Kampf gegen das Corona-Virus zunächst sinnvoll erscheinenden, Einschränkungen unserer Freiheitsrechte. Ob Ausgangssperre, wie sie in vielen europäischen Ländern bereits verhängt ist, die massenhafte Auswertung von Handydaten, wie in Österreich beschlossen oder auch der Einsatz der Bundeswehr im Inneren – Wer garantiert uns, dass diese Maßnahmen mit einem Ende der Pandemie wieder zurückgenommen werden?
Das Corona-Virus wird zwangsläufig eine wirtschaftliche Krise auslösen, die schon seit längerem bevorsteht – die bereits vor dem Virus angekündigten Massenentlassungen in der Metall- und Elecktrobranche sind nur die aktuellsten Hinweise darauf. Die Folgen dieser Krise sollen auf uns Beschäftigte abgewälzt werden, die angekündigte Kurzarbeit ist ein erstes Anzeichen, massenhafte Entlassungen, Stellenabbau usw. werden folgen. In diesen Zeiten dürfen wir unsere Kampfkraft nicht verlieren. Solidarität und das gemeinsame Einstehen für unsere Interessen sind gerade jetzt unbedingt notwendig! Gerade deshalb, müssen wir Wege finden, uns zu organisieren und zu vernetzen. Das gilt in unseren Stadtteilen und Nachbarschaften, wo solidarische Netzwerke aufgebaut werden können. Über die Solidarität untereinander, gegenseitige Beratung und der Unterstützung derer, die ihr Haus nicht verlassen können oder sollen, können wir die Isolation und den Individualismus durchbrechen. Das ist nicht nur notwendig, um das aufzufangen, was der deutsche Staat nicht leisten kann und will. Die Herausforderung, in den Gemeinden und Stadtvierteln neue Formen der Kommunikation und Kollektivität aufzubauen ist eine wichtige Gegenentwicklung zur Vereinzelung und dem Rückzug in Familien und kleine soziale Klüngel, die den Alltag der meisten bestimmen.
Wenn wir allerdings bei der reinen Nachbarschaftshilfe bleiben, ohne sie mit den sozialen Kämpfen in den Betrieben zu verknüpfen, werden die richtigen Initiativen wieder verebben. Dann fangen wir zwar einige Symptome der Krise ab, können uns aber gegen die eigentlichen Angriffe auf unsere Arbeitsbedingungen und unseren Lebensstandard nicht wehren. Kurzarbeit, Massenentlassungen, radikale Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen in allen Branchen und die im Frühjahr anstehende Tarifrunde im Metall- und Elektrobranche stehen uns bevor. Wir müssen zusammen nach Möglichkeiten suchen, uns trotz Pandemie zusammenzuschließen. Streiks, Aktionen und vor allem praktische Solidarität zwischen den verschiedenen Branchen und Betrieben gegen die Angriffe auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen, müssen jetzt erarbeitet und geplant werden. Gerade die Straße als Ort, an dem unser gemeinsames Handeln zur greifbaren Gegenmacht wird, wo wir zusammenstehen und den Herrschenden Kontra geben können, dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Auch in diesen Zeiten können wir Wege finden: Dann tragen wir eben Masken und Handschuhe und nutzen große Plätze, Kreuzungen und ganze Innenstädte, um uns nicht zu dicht aneinander drängen zu müssen… Je länger wir uns dem Burgfrieden unterordnen, desto weniger werden wir laut und stark für unsere Rechte kämpfen können, wenn es wieder unbedenklicher sein wird, gemeinsam auf die Straße zu gehen. In Italien haben ArbeiterInnen gerade wegen der aktuellen Lage dort in zahlreichen Betrieben spontane Streiks gegen Arbeitszwang trotz Virusgefahr durchgeführt. Mit dem nötigen Willen und etwas Kreativität ist es möglich!
Alle Menschen, die sich bis jetzt engagiert und eingesetzt haben dürfen nicht stillhalten! Wir brauchen noch viele mehr! Wir müssen Kontakte halten, neue Verbindungen herstellen, Erfahrungen austauschen und sammeln, unseren Mut und unsere Motivation nutzen. Wir sind keine Szene, kein Klüngel und keine BesserwisserInnen, wir sind lohnabhängig wie der Großteil der Bevölkerung und kämpfen Tag für Tag mit den gleichen Problemen. Gerade in der soziale Krise, in die wir aktuell hineingeworfen werden, werden unsere Gemeinsamkeiten sichtbar. Der Bruch mit diesem kranken System ist keine Phrasendrescherei, sondern die einzige Aussicht auf ein Leben in Gesundheit, Solidarität und Wohlstand – und das für alle!