Das Aktionsbündnis 8. März hat einen ausführlichen Bericht zu den Aktionen rund um den 8. März veröffentlicht. Dazu gibt es auch noch eine Bildergallerie und einen Filmzusammenschnitt:
Bis heute werden Frauen* in verschiedenen Lebensbereichen diskriminiert, ausgebeutet und benachteiligt. Weltweit schließen sich Frauen* zusammen, um diese Verhältnisse zu verändern. In Mexiko, Polen, Spanien und vielen anderen Ländern machen sie deutlich: So wie es ist kann es nicht bleiben! Im Zuge dessen wächst die Idee des Frauen*streiks immer weiter und wurde – bspw. in Spanien – auch in Form eines Generalstreiks schon Realität. Auch wir als Aktionsbündnis setzen uns seit einiger Zeit mit der Bedeutung des Frauen*streiks auseinander und wollen hier in Stuttgart weiter auf diesen hinarbeiten, denn er bietet uns viele Möglichkeiten:
Als Frauen* verdienen wir in Deutschland bis heute weniger – zum Teil weil typische Frauen*berufe niedriger entlohnt werden, zum Teil aber auch bei gleicher Qualifikation und Beschäftigung. Grund genug für uns Frauen*, inArbeitskämpfen für bessere Löhne zu streiken, wie es auch in Branchen wie dem Einzelhandel, der Pflege oder Sozial- und Erziehungsberufen passiert. Zusätzlich leisten wir aber auch einen Großteil der sogenannten „unbezahlten Reproduktionsarbeit“, also Aufgaben wie Wäsche waschen, kochen, Kindererziehung sowie Pflege und Sorge um weitere Angehörige oder Mitmenschen. All das sind Arbeiten, die für jede Gesellschaft notwendig sind, aber in den aktuellen kapitalistischen Verhältnissen abgewertet sowie unsichtbar gemacht und immer wieder wie selbstverständlich von Frauen* übernommen werden. Da der diesjährige 8. März auf einen – vermeintlich arbeitsfreien – Sonntag fiel, haben wir die Gelegenheit genutzt und zum internationalen Frauen*kampftag alle Frauen* dazu aufgerufen, jegliche Formen der unbezahlten Pflege-, Haus- und Sorgearbeit liegen zu lassen. Damit wollen wir deutlich machen, dass all diese Erledigungen auch Arbeit sind. Wir wollen die aktuellen Zustände nicht weiter stillschweigend und auf unsere Kosten mittragen. Der Streik ist dabei ein Mittel, um zu zeigen, dass diese Verhältnisse kollektiv geändert werden können und müssen<!
Nicht zu verschweigen sind in dem Kampf um die Selbstbestimmung der Frau natürlich auch körperliche und sexualisierte Gewalt, Morde und Sexismus, welche perfider Teil einer strukturellen Frauen*unterdrückung und -einschüchterung sind. Auch in Deutschland haben die meisten Frauen* selbst Erfahrungen mit derartigen Angriffen gemacht.
Über das ganze 8.März-Wochenende hinweg haben wir daher unterschiedliche Aspekte der Unterdrückung von Frauen* aufgegriffen. Wir haben diese im Stadtbild sichtbar gemacht, die Alltagsroutinen gestört und kollektive, selbstbestimmte Momente geschaffen. Klar ist allerdings auch, dass der 8. März 2020 nur ein Anfang ist. Bis zu einem Frauen*streik liegt noch ein weiter Weg vor uns, auf dem es unsere Aufgabe ist, weitere Akteur*innen für unseren Kampf zu gewinnen! Hier findet ihr einen Überblick über all unsere Aktionen, vielleicht wecken sie euer Interesse, euch im Aktionsbündnis 8. März zu beteiligen oder bieten Inspiration für eigene Aktivitäten bei euch vor Ort.
7. März-Aktionstag
Frauen*kämpferische Aktionen in der Stadt und in Betrieben:
Um 12 Uhr eröffnete das Streik-Cafe im Gewerkschaftshaus, welches den Tag über als Anlaufstelle und zum Austausch gedient hat. Dort gab es Verpflegung (organisiert von „Männer für Frauen*kampf“), Infomaterialien und einen Stand des FF*GZ (Feministisches Frauen*gesundheitszeitrum Stuttgart e.V.). Über den Tag hinweg haben insgesamt um die 100 Frauen* unser Streik-Cafe besucht und sich bei unseren Aktionen beteiligt.
Zu Beginn haben wir Statuen in der Stuttgarter Innenstadt umgestaltet. Dabei wurde das Denkmal von Anna Sutter an der Staatsoper genutzt, um ihr und allen anderen Frauen* zu gedenken, die von ihren (Ex-) Partnern ermordet wurden. Die dort angebrachten Schilder informieren über Femizide – also die Ermordung von Frauen* aufgrund ihres Geschlechts. Was oft als „Beziehungs- oder Familiendrama“ – wie auch bei Anna Sutter – abgetan wird, hat System. Gewalt an Frauen* ist alltäglich. Jeden Tag versucht ein Mann seine (Ex-) Partnerin zu töten, häufiger als jeden dritten Tag gelingt es ihm. Femizide sind die tödliche Zuspitzung der strukturellen Unterdrückung von Frauen*. Ein anderer Brunnen wurde Else Himmelheber gewidmet. Die Stuttgarterin war Antifaschistin und Kommunistin und leistete Widerstand gegen den deutschen Faschismus.
Danach gings weiter zum Katharinenhospital, wo der Arbeitsalltag für die Pflegekräfte (rund 80% davon sind Frauen*) von Personalmangel und Überlastung gekennzeichnet ist. Das Einsparen von Personal geht nicht nur auf Kosten der Beschäftigten, sondern auch zulasten der Patient*innen. Sie sind es, an deren Pflege schlussendlich gespart wird. Mit Durchsagen, Transparenten und Schildern haben wir uns mit den dort arbeitenden Pflegekräften solidarisiert und deutlich gemacht: Menschen vor Profite, wir stehen für eine andere Form der Pflege ein!
Auch im Einzelhandel arbeiten größtenteils Frauen* – für wenig Lohn bei gleichzeitig hoher Arbeitsbelastung. Stress, Zeitdruck und Überstunden gehören zum Alltag. Mit einer 5-minütigen Kassenblockade haben wir daher den Kassierer*innen von Primark eine Pause verschafft. Gleichzeitig konnten wir auch die Kund*innen auf die prekäre Beschäftigung aufmerksam machen. Anschließend wurden in einem Straßentheater der Clean Clothes Campaign direkt vor der Geschäftstür von H&M die Lieferketten der Textilindustrie thematisiert. Hierbei wurde deutlich, dass die Ausbeutung von Beschäftigten über nationalstaatliche Grenzen hinausgeht und über die Notwendigkeit eines Lieferkettengesetzes aufgeklärt. So arbeiten Textilarbeiter*innen bspw. in Bangladesch und Indien für Hungerlöhne und in Produktionsstätten, in denen es unter anderem keinerlei Gesundheitsschutzmaßnahmen gibt. Jedes Jahr sterben unzählige Frauen* aufgrund dieser Produktionsverhältnisse.
Anschließend führten wir auf der Königsstraße mit Frauen aus der chilenischen Gemeinde gemeinsam den Tanz „el violador en tu camino“ auf. Die Performance des chilenischen feministischen Kollektivs „Las Tesis“ richtet sich gegen Gewalt an Frauen*. Frauen* auf der ganzen Welt haben den Tanz aufgegriffen, in dem Gewalt gegen Frauen* in einen gesellschaftlichen Zusammenhang gesetzt wird. Der Text verurteilt den chilenischen Staat und die Polizei, die direkte Gewalt gegenüber Frauen* ausüben und verschweigen. Gewalt gegen Frauen* ist Teil des Patriarchats und Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Danach gingen wir gemeinsam ins Gewerkschaftshaus. Dort erläuterte eine chilenische Genossin die Bedeutung und die Hintergründe der Performance und sang Lieder der chilenischen Widerstandsbewegung. An den Aktionstag erinnern wird uns nicht zuletzt der Clara-Zetkin-Platz – der Platz vor dem Gewerkschaftshaus. Dass der Platz vor dem Gewerkschaftshaus nun wieder den Namen Clara Zetkin trägt (bereits am 8.3.2019 wurde der Platz für mehrere Monate umbenannt), wird hoffentlich nicht nur uns ermutigen, kontinuierlich für eine Welt ohne Frauen*unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen – eine Welt, in der Solidarität und der Mensch statt Profite im Mittelpunkt stehen.
Am 8. März, dem internationalen Frauen*kampftag, gemeinsam auf die Straße…
Bei unserer Demonstration zum internationalen Frauen*kampftag sind wir mit 800 Frauen* lautstark und mit vielen Fahnen und Schildern durch die Stadt gezogen. Dabei war unter anderem auch ein Kinderblock, der durch „Männer für Frauen*kampf“ betreut wurde. Vor der Auftaktkundgebung auf dem Karslplatz wurde die Reiterstatue mit Putzutensilien verschönert. Ein Transparent am Sockel der Statue machte deutlich: Wir sorgen für Frauen*kampf! Der erste Redebeitrag stellte einen historischern Bezug zum Frauen*streik 1994 in Stuttgart her. Damals besetzten Frauen* den Charlottenplatz und sorgten so schließlich dafür, dass dieser mittlerweile barrierefrei ist.
26 Jahre später gibt es leider noch immer viel zu viele Gründe für einen Frauen*streik. Und dies nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen weiteren Ländern der Welt kämpfen und streiken Frauen* für eine bessere Zukunft. In Chile und weiteren Ländern Lateinamerikas schließen sich Frauen* vor allem zusammen, um sich gegen die täglichen Femizide zu wehren. In Mexiko werden täglich etwa zehn Frauen* ermordet. Dieses Jahr gingen am 8. März in Lateinamerika viele Millionen Frauen* demonstrieren und traten am 9. März in den Streik, durch welchen Betriebe und Produktion still standen, so auch Produktionsstätten deutscher Unternehmen in Mexiko – wie VW oder Audi. An der Ausländerbehörde haben wir uns mit Frauen* auf der Flucht solidarisiert und die besonders schweren Bedingungen, unter denen sie leben, aufgegriffen. Sie sind besonders oft von sexualisierter Gewalt betroffen und wenn sie es überhaupt nach Deutschland schaffen, müssen sie sich hier auch noch vor Rechten und Faschisten schützen und sich mit der deutschen Bürokratie herumschlagen. Die aktuelle Situation an der griechisch-türkischen Grenze führt uns den täglichen Kampf vor Augen, den ein Leben auf der Flucht bedeutet.
Vor dem Standesamt hat ein Redebeitrag vom FF*GZ Stuttgart die Ehe als rechtliche Institution problematisiert. Dabei wurde thematisiert, dass Frauen* sich in der Ehe nicht nur von ihren Männern, sondern auch vom Staat abhängig machen. Der Staat fördert mit der Ehe eine ungleiche Einkommensverteilung durch steuerliche Begünstigungen, die vor allem Frauen* benachteiligen. Frauen* wird nicht zuletzt deshalb noch immer wie selbstverständlich die Verantwortung für den Haushalt und unbezahlte Hausarbeit zugesprochen.
Eine Rednerin von Fridays for Future, die einen eigenen Block bei der Demo organisiert hatten, sprach über die Folgen des Klimawandels besonders für Frauen*. Sie machte deutlich, dass wir für eine bessere Zukunft nicht nur gegen den Klimawandel, sondern auch gegen das Patriarchat kämpfen müssen.
Immer wieder wurde bei der Demo auf die unbezahlte Sorgearbeit aufmerksam gemacht. Durch Verschönerungen des Stadtbilds, durch das Aufhängen von Wäscheleinen mit Alltagsgegenständen, die die unbezahlte Arbeit symbolisieren. Auch in den verschiedenen Redebeiträgen wurde immer wieder thematisiert, dass wir heute streiken!
Doch auch der Gender Pay Gap wurde aufgegriffen, denn Frauen* verdienen im Schnitt 21% weniger als Männer. Durch zwei Transparente an der Paulinenbrücke wurden die unentlohnte und entlohnte Arbeit noch einmal in ein Verhältnis zu einander gesetzt. Für den selben Lohn müssten Frauen* 8 Stunden und Männer 6,33 Stunden arbeiten. Hinzu kommt dann eben noch die unbezahlte Arbeit, für welche Frauen* doppelt so viel Zeit aufwenden wie Männer. Viele Frauen* verdienen also weniger als Männer, obwohl sie deutlich mehr Zeit für Lohn- und gesellschaftlich notwendige, aber unbezahlte Arbeit aufbringen müssen. Durch das daraus resultierende niedrigere Einkommen sind besonders Frauen* von Armut betroffen, was sie unter anderem bei der Wohnungssuche oder während der Rente zu spüren bekommen. In einem Redebeitrag einer Gewerkschafterin der IG BAU wurde aufgezeigt, was dies für Frauen* im Reinigungsbereich bedeutet. Eine ehemalige Besetzerin einer noch immer leerstehenden Wohnung in der Wilhelm-Raabe-Str. 4 ging auf die Schwierigkeit ein, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Für alleinerziehende Frauen* ist es in Stuttgart nur großes Glück eine bezahlbare Wohnung zu finden. Frauen*, die dringend Schutz in Frauenhäusern bräuchten, finden keinen Platz und bleiben weiter der Gewalt durch ihre (Ex-)Partner ausgesetzt.
Im Vorfeld wurde an der Dinkelacker-Brauerei, die an der Demoroute lag, eine Gedenktafel für Clara Zetkin befestigt. Die Revolutionärin hielt 1911, am ersten Frauen*kampftag eine Rede, in der sie die Frauen*frage mit der Systemfrage verknüpfte. Denn ohne Überwindung des Kapitalismus keine Befreiung der Frau*! Viele Demonstrant*innen begrüßten die Aktion und wir hoffen, dass diese Gedenktafel noch viele weitere Menschen erfreut und stärkt.
Ein weiteres Thema im Rahmen unserer Demonstration war der Arbeitsalltag beschäftigter Frauen* in der Gastronomie. Neben niedrigem Lohn und Schichtarbeit müssen sich die Frauen* dort täglich mit sexistischen Kommentaren und teilweise auch körperlichen Übergriffen auseinandersetzen. Sich in solchen Situationen zur Wehr zu setzen, kann teilweise sogar den Job kosten, denn „der Kunde ist König“. Zum 8. März haben deshalb einige Frauen* des Cafe „Galao“, das auf der Demonstrationsroute lag, die Demo mit Konfettikanonen begrüßt und mit einem Transparent deutlich gemacht, dass Sexismus nicht unbeantwortet bleibt! Bei der Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz gab es hierzu noch einen Redebeitrag. Eine Gewerkschafterin knüpfte daran an und ging auf die Schikanen im Einzelhandel ein, die Frauen* dort alltäglich widerfahren. Zuletzt gab es einen Redebeitrag einer chilenischen Genossin, die auf die Situation von Frauen* in Chile einging und auf deren Widerstand gegen die herrschenden patriarchalen Verhältnisse.
Bei Musik und Verpflegung ließen zahlreiche Frauen* den Frauen*kampftag ausklingen und machten mit der Anbringung von Schildern deutlich: Wir gehen jetzt nicht zur Arbeit im Haushalt über, wir bleiben hier!
Unser Frauen*kampf ist internationalistisch, antikapitalistisch und findet an 365 Tagen im Jahr statt.
Wir wollen nicht, dass Männer und Frauen* gleichermaßen ausgebeutet werden und prekär leben. Vielmehr stehen wir für eine Gesellschaft ein, in der alle ein menschenwürdiges Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung haben – und das ist nur in einer Gesellschaft fernab vom Kapitalismus möglich. Wir Frauen* haben daran – aufgrund unserer aktuellen gesellschaftlichen Position ein besonderes Interesse!
Die Verknüpfung der Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen mit feministischen Kämpfen spielt für uns deshalb auch eine besondere Rolle.
Nun gilt es, über den 8. März hinaus für Frauen*kampf und Selbstbestimmung aktiv zu werden. Lasst uns gemeinsam streiken und kämpfen. Für die Befreiung der Frau und für eine solidarische Gesellschaft!