Landesweite Bündnisdemo mit über 1000 TeilnehmerInnen +++ Vielfältige inhaltliche Kritik am Gesetzesvorhaben +++ Demozug mit antikapitalistischem Block, Fußballfans, Klima-AktivistInnen, GewerkschafterInnen, Stuttgart21-Widerstand und Anderen +++ Sprühparolen und Transpi-Aktion am Rand der Demo, viel bunter Rauch und Agit-Prop vor Grünen-Büro
Zum Hintergrund der Demo
Anknüpfend an die aktuellen Verschärfungen in Bayern, Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und NRW plant die schwarz-grüne Landesregierung in Baden-Württemberg aktuell eine weitere Verschärfung des bereits 2017 hier neu aufgelegten Polizeigesetzes. (Genaueres zu den geplanten Verschärfungen findet ihr hier). Aktuell befindet sich das Gesetzesvorhaben in der „Mauschelrunde“ – Grüne und CDU besprechen sich in Regierungshinterzimmern, wahrscheinlich ist eine Vorlage und Diskussion im Landtag im Herbst diesen Jahres. Sobald es klare Fakten zum weiteren Verlauf gibt, findet ihr diese auf der Homepage des landesweiten Bündnisses.
Bereits im Vorfeld der Demo war absehbar, dass sich anlässlich der aktuellen Verschärfungen keine größere landesweite Gegenbewegung aus fortschrittlichen Teilen der Zivilgesellschaft herausbilden wird, wie dies vor allem in Bayern der Fall war. Die Gründe dafür sind sicherlich vielschichtig. Vor allem wären dafür schon Ansätze von Widerstand gegen die letzten Verschärfungen vor zwei Jahren, die ohne großes Aufsehen durchgedrückt werden konnten, eine Grundlage gewesen. Dass alle Spektren der baden-württembergischen Linken hier offensichtlich geschlafen haben, ist ein Problem. Das andere ist, dass die Regierungsgrünen, mit ihrem Anschein von Bevölkerungsnähe und zivilgesellschaftlicher Vernunft, in den letzten Jahren großen Teilen der reformorientierten und fortschrittlichen Protestbewegungen den Wind aus den Segeln genommen haben. Das S-21-Trauma hallt nach und ein konservativer Schwätzer wie Kretschmann ist eben kein Söder oder Seehofer, die sich im offenen Kampf gegen alle fortschrittlichen und liberalen Gesellschaftsvorstellungen befinden. Hinzu kommt, dass die Mobilisierungen gegen das Polizeigesetz in Bayern unmittelbar in die heiße Phase des dortigen Landtagswahlkampfes fielen und so sicherlich dazu beigetragen haben, die Auseinandersetzung um das PaG mit der Frage nach der zukünftigen Regierungbildung in Bayern zu verknüpfen.
Dennoch: Ein breiter gesellschaftlicher Widerstand ist angesichts der gravierenden Verschärfungen auch in Baden-Württemberg unbedingt zu organisieren. Das vor allem linke #NoPolGBW-Demobündnis ist als erster „landesweiter“ Aufschlag auf jeden Fall wertvoll, sollte aber nicht das Ende der Fahnenstange bleiben.
Zur Demo
Die Demo war im Gesamten zwar überschaubar, mit unterschiedlichen Bereichen – antikapitalistischer Unkontrollierbar-Block, iL, Fußballfans, Klima-AktivistInnen, GewerkschafterInnen, S21-Widerstand, BürgerrechtlerInnen – aber durchaus ein Ausdruck dafür, dass hier offensichtlich nicht nur ein enger Kreis von AktivistInnen scharfe Kritik an dem Gesetzesvorhaben hat.
Unterschiedliche inhaltliche Beiträge untermauerten diese Vielfalt. Eine unvollständige Auswahl:
- Ein ehemaliger Richter, der heute im S21-Widerstand aktiv ist, widmete sich den bedrohlichen repressiven Perspektiven und Möglichkeiten der Verschärfung.
- Ein Aktivist der Informationsstelle Militarisierung aus Tübingen stellte die politischen und technischen Dimensionen der inneren Aufrüstung heraus.
- Eine Anwältin schilderte wie das Stadion und aktive Fußballfans im Besonderen als Testfeld für Repressionsmaßnahmen genutzt werden.
- Eine Vertreterin verschiedener Antifagruppen sorgte für die Verknüpfung von gesellschaftlichem Rechtsruck, faschistischen Netzwerken im Staatsapparat und staatlicher Repression und betonte die Bedeutung einer offensiven Antifabewegung.
- Eine Aktivistin des Antirassistischen-Netzwerk Baden-Württemberg machte deutlich, dass Repression und Gesetzesverschärfungen in ganz besonderem Maße gegen Geflüchtete angewendet und mit rassistischer Hetze verbunden werden, weshalb die organisierte Solidarität Aufgabe der linken Bewegung ist.
- Die Vertreterin des Unkontrollierbar-Blocks betonte schließlich die gemeinsame antikapitalistische Perspektive der politischen und sozialen Kämpfe, die sich aktuell entwickeln und die Notwendigkeit trotz der Repression selbstbestimmte, kämpferische und solidarische Aktivitäten und Organisierungen voranzutreiben.
Den Unkontrollierbar-Block, den auch wir unterstützten, organisierten verschiedene linke und revolutionäre Strukturen aus Baden-Württemberg. Der inhaltliche Fokus lag hier auf dem Charakter der Gesetzesverschärfung als Teil präventiver Aufstandsbekämpfung
Der Demoausdruck beschränkte sich nicht alleine auf laute Parolen, zahlreiche Schilder, Fahnen, Transparente und Moderationsdurchsagen. Bunter Rauch und Bengalos in verschiedenen Bereichen sorgten immer wieder für gute Stimmung, am Rande der Demo verschönerten AktivistInnen während dem Laufen mit Sprühparolen die Stuttgarter Innenstadt. Zudem wurde eine Seitenstraße mit einem Themen-Transparent gesperrt. Das Grünen-Parteibüro am Rotebühlplatz verbarrikadierten AktivistInnen mit einer symbolischen Mauer aus Kartons, die anschließend mit den passenden Slogans besprüht wurde. Am Ende der Demo versuchten motivierte Teile der Demo noch einen Blick ins Justizministerium zu werfen, was zu Reibereien mit dem unterbeschäftigten Bullenaufgebot führte. Nach Entspannung der Situation positionierte sich ein behelmter Trupp etwas verloren inmitten der Kundgebungsmenge, wurde von den TeilnehmerInnen eingekesselt, bedrängt, zum gehen aufgefordert und zog sich schließlich wieder zurück. Was auch immer die Motivation für den sinnlosen Gänsemarsch in unsere Kundgebung gewesen sein mag – die Stimmung nach Abzug der Bullen war super. Im Anschluss an die Demo zog ein Teil der AktivistInnen in einem spontanen Demozug im Stadtteil Heslach zum Linken Zentrum.
Die Nacht auf den 10. Juli nutzten AktivistInnen offensichtlich, um dem Oberlandesgericht am Stammheimer Knast einen Besuch abzustatten. Eine Kamera wurde außer Betrieb genommen, einige Fenster mit Farbbeuteln eingefärbt und die Sprühparole „Gegen jede Repression – #NoPolG“ hinterlassen. Die Erklärung mit Mobiaufruf zur Bündnisdemo findet sich hier. Außerdem wurde das bereits erwähnte Justizministerium in der Nacht vor der Demo mit Farbmarkierungen bedacht. Schlecht, dass die Farbe schon vor der Demo wieder entfernt wurde, gut dass die Bullen dafür am frühen Morgen immerhin selbst Hand anlegen durften.
Ein kurzer Ausblick
Die Demo war nach den regionalen Demos in Freiburg und Tübingen ein guter landesweiter Auftakt für eine noch breitere Bewegung gegen das neue Gesetz. Sollte das Gesetzesvorhaben tatsächlich weiter bemüht werden, gilt es zumindest einen Teil der politischen Bewegung nachzuholen, die wir vor zwei Jahren schon auf die Beine hätten stellen sollen. Weitere Aktionen gegen die repressiven Verschärfungen in Baden-Württemberg im Herbst, wenn das Thema im Landtag auf der Agenda steht, wären auf jeden Fall angemessen.
Die Rolle der revolutionären Linken in der Protestbewegung sollte nicht nur deshalb eine verantwortungsvolle und vorantreibende sein, weil wir ganzen Belästigungen mit als erste zu ertragen haben werden, sondern auch, weil wir die Kritik an den Verschärfungen einerseits einordnen und analysieren und andererseits mit revolutionären und sozialistischen gesellschaftlichen Perspektive verbinden können. Mehr als nur Empörung, schwache Forderungen nach Abschwächungen und Schwarzmalerei! Und das sowohl in die Bewegung hinein, als auch nach außen in den Rest Gesellschaft.
Nicht zuletzt sollte eine revolutionäre Praxis immer eine Haltung zum Ausdruck zu bringen, die nicht die bestehenden Gesetze, sondern die Ziele und Potenziale der Kämpfe zum Handlungsmaßstab macht. Das wird gerade im Hinblick auf die weiteren Einschränkungen des rechtlichen Rahmens immer wichtiger. Die Demo und weitere Aktionen rund um die #NoPolGBW Kampagne, haben in dieser Hinsicht einige gute Ansätze aufgezeigt, die auch außerhalb unseres politischen Spektrums ankommen. Dass da noch mehr als genug Luft nach oben ist, spornt hoffentlich nicht nur uns an.
Solidarische Grüße und bis bald an alle TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen!