Nach wochenlangem Durchklicken von Immbolienscout und Wohnungssuchbörsen im Internet hast du endlich eine Wohnung gefunden. Eine Wohnung die gerade noch in deinem Budget liegt. Zwei Wochen später stehst du vor einer langen Menschenschlange. Eigentlich nichts ungewöhnliches, denkt man an den Einlass zum Konzert, die Kasse im Supermarkt, oder an den Terminal im Flughafen. Doch die Leute hier warten nicht auf ein Konzertvergnügen oder den wohlverdienten Urlaub – sondern auf die Besichtigung einer einfachen Wohnung.
Die monatelange Suche nach einer bezahlbaren Bleibe – oft am Rande der Verzweiflung – und Massenbesichtigungen mit dutzenden MitbewerberInnen sind Alltag. Wohnungsnot und explodierende Grundstücks- und Mietpreise bittere Realität in fast allen deutschen Städten. Bundesweit sind die Bodenpreise von 1962 bis 2015 um 1800 Prozent gestiegen. In Frankfurt kostet eine Drei-Zimmer-Neubauwohnung im Durschnitt 1450 Euro kalt. In Berlin müssen Familien durchschnittlich 41,3 Prozent vom Nettoeinkommen für die Miete aufwenden, in Stuttgart sind es bei Haushalten mit einem Einkommen bis 1300 Euro sogar 60 Prozent. In München und Frankfurt sind die Angebotsmieten zwischen 2008 und 2018 um 60 Prozent gestiegen, in Berlin um 100 Prozent. Der Bestand an Sozialwohnungen ist in den letzten 30 Jahren von rund 4 Millionen auf 1,25 Millionen zusammengeschrumpft. Seit 2014 ist die Zahl der Wohnungslosen um 150 Prozent auf heute 860.000 Menschen gestiegen. Nicht selten endet die Wohnungsnot tödlich: Jeden Winter erfrieren Obdachlose. Die Berliner
Rentnerin Rosemarie Fliess starb zwei Tage nach der Zwangsräumung ihrer Wohnung im Zimmer einer Notunterkunft, die Räumung hatte ihr die letzte Kraft geraubt. Jeder Mensch, der Heute auf der Straße erfriert, obwohl tausende Wohnungen unbegründet leerstehen, wird ermordet.
Eine Frage der Klasse – Kapitalisten kennen keine Wohnungsnot
Die Wohnungsnot hat Ursachen, Profiteure und Leidtragende. Reiche, Firmenchefs, Aktionäre und Banker – die Klasse der Kapitalisten kennt keine Wohnungsnot, denn an Luxus-Apartments und schicken Eigentumswohnungen mangelt es nicht. Betroffen von explodierenden Mieten sind die einfachen Leute. Alle mit normalen und geringem Einkommen – die Klasse der Lohnabhängigen. All jene, bei denen die Mieten einen immer größeren Teil von Lohn und Einkommen auffressen, die sich nach Mieterhöhungen die Wohnung nicht mehr leisten können und aus den Stadtkernen ins Umland vertrieben werden. Der Kauf eines Eigenheims ist dabei für die allermeisten trotz Niedrigzinsen keine Option, denn vielerorts sind auch die Grundstücks- und Kaufpreise ins Unermessliche gestiegen. Wer doch einen Kredit bekommt, verschuldet sich auf Jahrzehnte und lebt in ständiger Gewissheit, bei einem Jobverlust die Raten nicht mehr zahlen zu können und das Haus an die Bank zu verlieren. Mehr als 50 Prozent aller Kredite in Deutschland sind durch Immobilien besichert. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 haben auf diese Weise alleine in den USA und in Spanien hunderttausende Menschen ihr Eigenheim verloren. Für Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Auszubildene, RentnerInnen, Studierende, Erwebslose und zunehmend auch für NormalverdienerInnen ist der Kauf einer Eigentumswohnung aufgrund der Einkommensverhältnisse sowieso ein Akt des Unmöglichen. Sie haben kein Vermögen, oder anders gesagt, zu geringe Einkommen um Rücklagen bilden zu können. Denn in der Regel sind zwischen 5 und 20 Prozent Eigenkapital für die Aufnahme von einem Bankkredit bzw. den Hauskauf erforderlich. Ein Rechenbeispiel: Gegenwärtig liegt der Quadratmeterpreis im Münchner Umland bei 6.700 Euro, in zwölf Jahren sollen es 8.570 Euro sein. Eine 100-Quadratmeter-Wohnung liegt dann inklusive Nebenkosten bei rund 946.000 Euro. Um den Kauf der Wohnung im Jahr 2030 zu tätigen, wären für nur fünf Prozent Eigenkapital eine monatliche Sparrate von 278 Euro notwendig, für 20 Prozent sogar 1.110 Euro. Das ist für sehr viele Haushalte finanziell nicht stemmbar.
Kein Interesse an einer Veränderung dieses Status Quo durch Schaffung von bezahlbaren Wohnraum haben all jene, die mit dem Mietenwahnsinn horrende Profite einstreichen. Es sind Teile der Kapitalistenklasse, Investmentgesellschaften, sogenannte „Institutionelle Anleger“1, börsendotierte Immobilienkonzerne wie „Deutsche Wohnen“ und „Vonovia“, Banken und Spekulanten. Es sind zwar wenige, doch sie sind mächtig und haben direkten Einfluss auf die herrschende Politik und die Gesetzgebung. Sie bestimmen die Rahmenbedingungen des bürgerlichen Staates für eine bestmögliche Kapitalverwertung im Wohnraumsektor. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Wohnungsgipfel der Bundesregierung vom Herbst 2018. Innenminister Seehofer hatte zur Konferenz nach Berlin geladen um die „drägendste soziale Frage dieser Zeit“ zu lösen. Heraus kam ein Maßnahmenpaket, dass so wenig Verbesserungen beinhaltet, dass der Wohngipfel eher als medial inszenierte Propagandaveranstaltung zu bezeichnen ist. Interessanter war jedoch die Zusammensetzung der Teilnehmenden. Vertreten waren 14 Interessensgruppen, die allesamt von den herrschenden Verhältnissen profitieren, darunter Immobilien- und Eigentümerverbände, sowie Baulobbyisten. Der Vertreter des Deutschen Mieterbundes dagegen hatte stolze sechzig Sekunden Redezeit, um die Belange und Interessen von über 40 Millionen MieterInnen vorzutragen. Sozialverbände, Wohnungslosenorganisationen und Umweltverbände waren gar nicht erst eingeladen.
Die herrschende Politik und der bürgerliche Staat, sind also nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Sie setzen Kapitalinteressen gegen die eigentlichen Grundbedürfnisse der Lohnabhängigen durch – der absoluten Mehrheit der Bevölkerung. Durch die Zuspitzung der kapitalistischen Krise, sind auch die Zeiten von sozialorientierten Reformen und großer Bauprogramme von staatlichen Sozialwohnungen Geschichte. Seit den 90er Jahren hat sich der Staat Schritt für Schritt als eigenständiger Wohnungsakteur verabschiedet, eigene Wohnungsbestände privatisiert und beschränkt sich heute hauptsächlich auf die Aufrechterhaltung einer investorenfreundlichen Politik. Diese hat zur Folge, dass MieterInnen immer häufiger gnadenlos ausgequetscht werden wie Orangen in der Saftpresse.
Das Geschäftsmodell von VONOVIA & Co.
Eine Vorreiterrolle beim finanziellen Ausquetschen von MieterInnen spielt Vonovia. Mit etwa 400.000 Wohnungen, in denen eine Million Menschen leben, der größte Immobilienkonzern Deutschlands. Seit dem Börsengang im Jahr 2013 ist der Aktienkurs des Dax-Konzerns um 148 Prozent gestiegen. Vonovia hat sich beim finanziellen Ausquetschen von MieterInnen besonders spezialisiert. Dabei greift das Unternehmen auf „Insourcing“ zurück, also dem Erledigen von Arbeiten wie z.B. Winterdienst- und Hausmeistertätigkeiten durch eigene Tochterunternehmen. Diese stellen der Vonovia für ihre Dienstleistungen überhöhte Rechnungen, die über die Betriebs- und Nebenkosten von den MieterInnen gezahlt werden. Über diesen Kreislauf landen die Gewinne in der eigenen Tasche.
In Hamburger Vonovia-Wohnanlagen wurde so der Winterdienst um 1900 Prozent teurer, für Vonovia-MieterInnen in Magdeburg stiegen die Kosten für Beleuchtung um 223 Prozent. Kein Wunder hat sich der Konzerngewinn alleine in den vergangenen zwei Jahren um 15 Prozent auf eine Milliarde Euro gesteigert. Und dieses Verwertungssystem ist ein zuverlässiges System – denn für die allermeisten MieterInnen ist ein Aus- oder Umzug aufgrund des Wohnraummangels und überteuerter Mieten keine Option. Profiteure sind am Ende wieder nur Wenige, die sich über diese Geldmaschine freuen und alles dafür tun, um sie am Laufen zu halten. Über 600 Millionen Euro wurden alleine letztes Jahr an die Aktionäre ausgeschüttet und der Vorstand freut sich über ein Jahresgehalt von 5,67 Millionen Euro. Genau so funktioniert der Kapitalismus – wenige Reiche besitzen und kaufen, während viele täglich schuften und zahlen.
Entrechtung und Repression gegen MieterInnen haben System
Die Wohnungsfrage umfasst nicht nur steigende Mieten und überhöhte Nebenkosten, sondern auch die systematische Entrechtung und staatliche Repression. Wer im Mietrückstand ist oder sich nach Modernisierung die Miete nicht mehr leisten kann, dem wird Strom- und Gas gekappt, bekommt eine Räumungsklage und wird nicht selten zwangsgeräumt. In Deutschland finden jährlich 60.000 Zwangsräumungen statt, das sind 164 jeden Tag. Gerade bei Räumungen spielt die staatliche Justiz und das sogenannte Gewaltmonopol des Staates eine zentrale Rolle. Gerichtsvollzieher und Polizeiaufgebote setzen die Räumungen mit Gewalt durch und gewährleisten so die Eigentumsverhältnisse und fließende Renditen. Von den 7.000 in deutschen Knästen wegen Schwarzfahren Einsitzenden sind die wenigsten dort gelandet, weil sie keine Lust hatten Geld für einen Fahrschein zu zahlen, sondern weil sie es sich schlicht nicht leisten konnten. Genauso ist es auch bei den Zwangsgeräumten; bei den wenigsten handelt es sich um sogenannte Mietnomaden, sondern um MieterInnen, die sich die Miete nach Jobverlust oder Modernisierung nicht mehr leisten konnten und keine andere bezahlbare Bleibe auf dem Wohnungsmarkt finden konnten.
Wer denkt, einen Ausweg aus der Misere bietet im Notfall der Staat, irrt. Selbst mit einem Wohnberechtigtenschein kann man nur selten auf eine Sozialwohnung des Staates zurückgreifen, oder die Wartezeit beträgt Jahre. Das zeigt das Beispiel Stuttgart: Hatte die Stadt Anfang der 90er noch 33.000 Sozialwohnungen im Bestand, sind es heute nur noch 14.100. Diese stehen rund 100.000 Miethaushalten gegenüber, die vom Einkommen her Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten. Ganz zu schweigen von den 4.700 Haushalten, die unmittelbar auf der Warteliste für eine Sozialwohnung stehen.
Es gibt keine neutrale Stadtplanung im Kapitalismus
Die kapitalistische Profitlogik durchzieht auch die Stadtplanung und Architektur im bürgerlichen Staat. Während an Schwimmbädern, Jugendhäusern und kostengünstigem Nahverkehr gespart wird, schießen Einkaufstempel wie Pilze aus dem Boden. Gerade die Shopping Malls verknüpfen den Akt des Einkaufens mit der Freizeitgestaltung. Dadurch übernehmen sie aufgrund der Masse der NutzerInnen und ihrer Aufenthaltsdauer Funktionen des öffentlichen Raumes. „Tante Emma“ Läden sind schon lange so gut wie ausgestorben, die großen Shopping Malls sorgen nun auch für den Ruin von etwas größeren Einzelhandelsläden. Die Folge sind tote und heruntergekommene Innenstädte in vielen kleinen und mittleren Städten, rund um die großen Ballungszentren. Die meisten Dörfer verfügen schon seit vielen Jahren nicht mehr über ausreichend Einkaufsmöglichkeiten für tägliche Bersorgungen. Angesichts des oft schlechten Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs, sind alte Menschen oder Leute ohne Auto auf dem Land meist aufgeschmissen. So zerstört der Kapitalismus seine eigene Infrastruktur.
In den Ballungsgebieten aber wird die gesamte städtische Fläche für die bestmögliche Kapitalakkumulation, also die Verwertung und Vermehrung von Investitionen kommerzialisiert. Städtische Raumplanung und Infrastrukurmaßnahmen sollen vor allem dazu dienen Investoren und Kapitalanleger anzulocken. Um Kaufanreize und Wohlfühlzonen für finanzkräftige Leute zu schaffen, gibt es zudem eine ganze Reihe an sozial-räumlichen Kontrollmechanismen. Diese sollen unerwüschte Bevölkerungsgruppen wie Obdachlose und Arme gezielt von öffentlichen Räumen fernhalten. Viele Bahnhöfe werden Nachts zugesperrt – selbst in eiskalten Winternächten. Unebene Sitzflächen in Einkaufsstraßen – oft mit Trennbügeln versehen – verunmöglichen ein Liegen darauf.
Eine dezentrale Anordnung von Sitzgelegenheiten auf öffentlichen Plätzen soll potentiellen Menschenansammlungen vorbeugen. Rasensprenkler werden in entsprechend kurzen Intervallen eingesetzt, sodass es unmöglich ist, auf öffentlichen Grünflächen zu schlafen. Auch für Obdachlose notwendige Infrastruktur verschwindet: Brunnen werden abgeschafft, damit man sich dort nicht mehr waschen kann und öffentliche Toiletten werden ganz oder am Wochenende geschlossen. Unterstandsmöglichkeiten wie Bushaltestellenhäuschen werden entfernt. Weitere Beispiele sind klassische Musik an U-Bahn Haltestellen, oder das Einlassen von scharfen Metallspitzen in ansonsten ebene Flächen. Das Verweilen im öffentlichen Raum wird reglementiert. Straßen und Plätze werden als Durchgangsorte konzipiert. Der längere Aufenthalt ist nur in speziell dafür vorhergesehenen konsumpflichtigen Orten wie in Cafés und Restaurants erwünscht. Architektur und Raumgestaltung sind also nichts neutrales oder unpolitisches. Sie bestimmen zu weiten Teilen, wie, wann, und wofür Raum genutzt werden kann – und ob bestimmte Personengruppen gezielt verdrängt werden.
Überwachung und Kontrolle im urbanen Raum
Der Ausbau der technischen Kontrolle läuft auf Hochtouren. Die neuen Generationen von Videoüberwachungssystemen sind mit starken Zoomobjektiven ausgestattet, welche die Aufschrift einer Zigarettenschachtel aus einer Entfernung von ca. 100 Metern lesen, aber auch große Flächen bis zu einer Meile überwachen können. Sie verfügen zunehmend über Lichtverstärker und Infrarottechnologie, sodass sie bei jeder Tages- und Nachtzeit einsetzbar sind. Desweiteren können sie mit Bewegungsmeldern und Mikrophonen kombiniert werden. Die Möglicheiten des Einsatzes von Überwachungskameras werden mit neuesten Computerprogrammen extrem erweitert: Das automatische Zählen von Personen ist bereits möglich, genauso wie deren automatisierte Verfolgung.
In Deutschland sind rund 500.000 Kameras im öffentlichen Raum im Einsatz. Wohin die Reise gehen kann und soll, zeigt London: Dort gibt es rund vier Millionen Kameras, jede EinwohnerIn wird durchschnittlich etwa 300 mal am Tag von einer Kamera erfasst. Methodisch aufwendige Studien des britischen Innenministerium belegen zwar, dass die Überwachung auf bedrohliche Formen körperlicher Gewalt wie Raubüberfälle oder Vergewaltigungen im öffentlichen Raum keinen Einfluss haben, daran festgehalten wird trotzdem. Denn es geht dabei nicht um unseren Schutz und körperliche Unversehrtheit. Selbst bei der häufigsten Art, der sogenannten Kleinkriminalität wie Diebstählen, wäre ein wirklicher Lösungs- und Verhinderungsansatz nicht die technische Überwachung, sondern soziale Gerechtigkeit, gute Lebensbedingungen und uneingeschränkter Zugang zu kultureller und sozialer Teilhabe. Vielmehr ist die Flächengestaltung und Kontrolle eng mit den bestehenden Machtverhältnissen und deren Aufrechterhaltung verwoben. Die Kontrolle über das Wissen, wer sich wann mit wem und wo trifft, kann für die Herrschenden wertvoll sein. Es ist längst nichts neues, dass der Städtebau im Kapitalismus ein Teil ihrer präventiven Strategie zur Bekämpfung möglicher Aufstände und Revolten ist. Die schönen breiten Boulevards in Paris, waren die Folge mehrerer Aufstände und revolutionärer Straßenkämpfe im 19. Jahrhundert, die in den verwinkelten Gassen und Sträßchen der Pariser ArbeiterInnenviertel optimale Ausgangsbedingungen fanden. Die verbreiterten Straßen hingegen, boten ein freies Schußfeld für die Artillerie und ermöglichten schnelle Truppenbewegungen. Soziale Kontrolle, Überwachung und Kommerzialisierung von öffentlichem Raum haben im Kapitalismus generell einen höheren Stellenwert als lebendige Orte, die zum Verweilen und Ausruhen einladen, Orte allgemeier Zugänglichkeit und des Zusammenkommens. Über diese Etwicklung können auch staatliche Zugeständnisse für „künstlerische- und kulturelle Zwischennutzungen“ nicht hinwegtäuschen. Diese dienen vielmehr einer Befriedung und Integrationspolitik. Räume von Kunst- und Kulturschaffenden sind rar, viele Orte müssen ersatzlos schließen. Zeitlich begrenzte „Lösungen“ von „Zwischennutzungen“ lähmen potentiellen Widerstand und dienen gleichzeitig als hippe Vorzeigeprojekte der Kommunalpolitik.
SmartCity und SmartHome? Es gibt keinen smarten Kapitalismus!
Die Digitalisierung boomt: Hatten 2011 nur 26 Prozent der Jugendlichen ein Smartphone, waren es 2016 bereits 92 Prozent. Die Nutzungszeit elektronischer Medien bei Kindern ist von 1987 bis 2007 von täglich 4 auf 8 Stunden gestiegen. Heute ist sie bereits auf über 10 Stunden angewachsen. Hinzu kommen neuere Erscheinungen wie Saugroboter, Kühlschränke die Produkte automatisch nachbestellen, Alltagsgehilfen wie Amazon Echo, Alexa und Google Home. Doch das alles ist nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was noch kommen soll. Hört man SprecherInnen von IT Konzernen wie der Telekom oder liest die neue Broschüre „Smart City Charta“ des Bundesinnenministeriums, könnte man meinen, die Lösung aller Probleme sei nahe. Die digitale Transformation in den Kommunen gilt als Patentrezept gegen Staus, Feinstaub, Klimaerwärmung, Wohnungsnot und für notwendige Energieeinsparungen.
Die lückenlose Installation von Sensoren und deren Verknüpfung miteinander in jedem Winkel unserer Wohnungen und dem gesamten städtischen Raum soll die Grundlage für nachhaltige Lösungen sein. In Echtzeit sollen sämtliche Handlungen von Menschen erfasst und Abläufe aufeinander abgestimmt werden. Ermöglichen soll das die 5G-Technologie, die darauf ausgelegt ist, pro Quadratkilometer eine Million Geräte miteinander zu vernetzen. Das ist im Vergleich zu den heutigen Kapazitäten eine Steigerung um das Tausendfache. 600.000 neue Mobilfunksendeanlagen sollen dafür errichtet werden. Alle 150 Meter soll in Kommunen und an Landstraßen ein 5G-Kleinzellen-Sender funken. Diese Technologie hat ihren Ursprung in den vernetzten Produktionsstraßen kapitalistischer Konzerne und wurde zur Kontrolle, Automatisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen entwickelt. Insbesondere auch zur lückenlosen Überwachung der ArbeiterInnen. Ausgestattet mit Bodycam und „Datenhandschuh“ soll zukünftig buchstäblich jede Bewegung (oder Pause) der Beschäftigten registriert und ausgewertet werden. Diese Technik ist eben keine „neutrale“ technische Weiterentwicklung, sondern in erster Linie ein Werkzeug in den Händen der wenigen kapitalistischen Profiteure. Sie zeigt anschaulich, dass es eben nicht alleine gute oder schlechte Ideen sind, die die Gesellschaft prägen, sondern, dass größere gesellschaftliche Veränderungen immer in einem engen Verhältnis zu den Erfordernissen der jeweiligen Wirtschaftsweise und den dazu gehörigen Eigentumsverhältnissen stehen.
Gerne wird von einem „Internet der Dinge“ gesprochen, in dem alle Gegenstände, Geräte und Menschen Datensätze senden und empfangen. Über die Daten und Algorithmen sollen gesellschaftliche Vorgänge gesteuert und vereinfacht werden. Der IT Konzern Huawei schätzt, dass bis 2025 hundert Milliarden intelligente Sensoren aus diversen Geräten unser Leben vermessen. Das sind neben dem Smartphones, Videokameras, 5G Anlagen, vor allem neue Haushalts- und Überwachuntsgeräte für das SmartHome. Der Mensch als Datenträger wird, indem er lesbar gemacht wird, jedoch auch vorhersehbar und kontrollierbar. Von IT Konzernen und der herrschenden Politik wird dabei die Aufhebung der Privatsphäre zu einem Akt der Emanzipation uminterpretiert, im Dienste des Gemeinwohles. Es steht außer Frage, dass die Digitalisierung und Automatisierung von Produktiosabläufen viele Vorteile mit sich bringt und z.B. Im Gesundheitswesen unverzichtbar ist. Doch im Kapitalismus bedeutet die Digitalisierung und damit auch die Vernetzung der Städte vor allem ein Geschäftsmodell zur Kapitalvermehrung. Das Marktpotential wird bis 2020 auf 1500 Milliarden geschätzt, um das Konzerne wie IBM, Siemens, Telekom, Huawei, Cisco, Amazon, Apple, Facebook und Google konkurrieren. Für diesen neuen Markt müssen natürlich auch die Rohstoffe verfügbar sein, so hat der Präsident des Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) Dieter Kempf verlautbaren lassen:
„Die Verfügbarkeit von Rohstoffen wird zu einer zentralen Herausforderung für das Industrieland Deutschland. Nur mit High-Tech-Rohstoffen wird es Zukunftstechnologien Made In Germany geben“.
Es gibt viele für die Digitalisierung zentrale Rohstoffe wie Kobalt und Lithium, um deren Abbaugebiete und Förderung sich auch diverse militärische Konflikte entwickeln können. Der zukünftige Bedarf übersteigt die heutigen Fördermengen um etwa das Dreifache. Zur Rohstoffsicherung werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch neue imperialistische Kriegseinsätze der Bundeswehr anbahnen. Neben den blühenden Profitaussichten, muss der Ausbau der digitalen Überwachung auch im Zusammenhang von Klassenkämpfen gesehen werden. Die Herrschenden erwarten angesichts von Klimakatastrophen, Fluchtbewegungen, Massenentlassungen durch Industrie 4.0, und Kapitalüberproduktionskrisen soziale Unruhen, deren Entstehung und Verlauf in Echtzeit erfasst und überwacht werden sollen. Digitale Werkzeuge wie flächendeckende Bewegungsprofile im öffentlichen Raum und im Nahverkehr sollen die Aufstandsbekämpfung erleichtern. Die Folgen digitaler Überwachung sind weitreichend. Ein Beispiel sind die systematischen Massenverhaftungen in der Türkei, die auch ein Ergebnis vorheriger digitaler Überwachung waren. Die von Edward Snowden und anderen Whistleblowern aufgedeckte Enthüllungen zeigen, wie fortgeschritten die Systematisierung von Überwachung auch bei westlichen Geheimdiensten und Repressionsbehörden ist. In Deutschland spielt die digitale Überwachung immer wieder eine wichtige Rolle bei der Kriminalisierung von linken AktivistInnen und Organisationen. Weiteres Nebenprodukt der Digitalisierung und exzessiven Nutzung sozialer Medien ist – inzwischen auch wissenschaftlich untersucht – die Vereinsamung und ein hohes Suchtpotential. Die zunehmende Konzentration auf die eigene Person verstärkt die Vereinzelung und zersetzt den Sinn für Gemeinschaft und Solidarität.
Um so wichtiger ist es, im revolutionären Aufbauprozess den Schutz der eigenen Strukturen und eine IT-Anonymisierung als Teil des Organisierungsansatzes und der politischen Praxis zu begreifen. Dabei gilt es die Herausforderung zu meistern, einerseits wirksame Schutzmechanismen zu etablieren und andererseits handlungsfähig, greifbar und ansprechbar zu sein.
Das Problem heißt Kapitalismus
Im kapitalistischen Konkurrenzkampf muss Geld immer gewinnbringend investiert werden. Im städtischen Raum wird überschüssiges Kapital im Fluss gehalten. Seit Jahren gelten Immobilien als lukrativ und aufgrund ihrer „Dingfestigkeit“ als sichere Anlage.
Gerade die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus führt dazu, dass das Finanzkapital verstärkt in den Immobiliensektor eindringt. Börsengelistete Aktiengesellschaften dominieren zu weiten Teilen das Marktgeschehen. Im Jahr 2018 haben die beiden größten Wohnungsunternehmen Vonovia und Deutsche Wohnen AG ihren Wohnungsbestand durch Zukäufe massiv ausgebaut. Aber auch weitere Immobilienkonzerne wie die TAG Immobilien, LEG Immobilien und die Adler Real Estate vergrößerten ihre Bestände. Immobilienaktien sind gefragt: 90 Milliarden Euro sind bundesweit über diese Form in Immobilien gebunden. Die Immobilienwirtschaft ist mittlerweile die umsatzstärkste Branche in Deutschland. Sie vereinigt 25 Prozent aller deutschen Unternehmen. Rund ein Fünftel aller Wertschöpfung entfällt auf dieses Segment. Damit ist die Immobilienwirtschaft eine umsatzstärkere Branche als die Autoindustrie oder der Einzelhandel.
Der Wohnraumkampf ist Teil des Klassenkampfes
Der Kapitalismus ist nicht in der Lage gute Lebensbedingungen und eine flächendeckende Grundversorgung mit schönen und leistbaren Wohnraum zu gewährleisten. Das System steht einer am Gemeinwohl orientierten Gesellschaftsordnung im Wege. Denn sonst wäre es undenkbar, dass man sich für das Geld einer Eigentumswohnung in Ballungszentren wie München in anderen Teilen der Republik wie in weiten Teilen Ost-Deutschlands, aber auch in Bremerhaven oder Duisburg, ganze Häuserreihen kaufen kann.
Eine sozial gerechte Wohnraumversorgung wird erst dann möglich sein, wenn für das Gemeinwohl und nach einem gesellschaftlichen Plan produziert und gebaut wird. Das setzt jedoch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und ein Ende des Privateigentums an Grund und Boden voraus. Wohnraum muss als unverzichtbarer Bestandteil der Existenzsicherung gelten. Er darf weder Ware noch Spekulationsobjekt sein. Zur Wohnraumfrage hat Friedrich Engels bereits im 19. Jahrhundert festgestellt: „In einer kapitalistischen Gesellschaft ist die Wohnungsnot kein Zufall, sie ist eine notwendige Institution, sie kann mitsamt ihren Rückwirkungen […] nur beseitigt werden, wenn die ganze Gesellschaftsordnung, der sie entspringt, von Grund aus umgewälzt wird“. Genauso wie wir heute für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen streiken, müssen wir auch im Hier und Jetzt für Reformen wie z.B. Mietsenkungen ringen. Wo immer es möglich ist, müssen wir jedoch die Eigentumsfrage auf die Tagesordnung setzen. Denn aus Einsicht, freiwillig und von alleine werden die Kapitalisten ihre Macht und Milliardenprofite nicht abgeben. Daher führt kein Weg an Organisierung und dem langfristigen Aufbau revolutionärer Gegenmacht vorbei.
Widerstand organisieren – Die strategische Bedeutung des urbanen Raumes für den Klassenkampf
Weltweit leben über eine Milliarde Menschen in Slums an den Rändern von Megastädten. 2008 lebten erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land – 2050 werden es zwei Drittel sein. In Deutschland leben 77 Prozent der Menschen in Städten oder Ballungsgebieten, nur 15 Prozent in Dörfern mit weniger als 5.000 EinwohnerInnen. Der Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung hat daher eine besondere urbane Dimension: Nicht ausschließlich, aber mit besonderer Wucht werden soziale und ökonomische Widersprüche in Ballungsräumen sichtbar. Sie sind häufig die Orte, an denen Klassenkämpfe, Aufstände und Revolten entflammen. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die städtischen Revolten beim „Arabischen Frühling“ auf dem Tahir-Platz, die Gezi-Park Proteste in Istanbul, Platzbesetzungen der Occupy-Bewegung in New York, oder die Sozialproteste der Gelbwesten in Frankreichs Städten.
Wir müssen in „Recht auf Stadt“-Bewegungen teilhaben und Akteure von Gentrifizierung und staatlicher Repression zur Zielscheibe von Angriffen machen. Wir müssen Ausdrucksformen im Stadtbild entwickeln und den urbanen Raum als ein leeres Blatt Papier begreifen, das wir ausgestalten – mit Bildern auf Wänden, Wandzeitungen an Haltestellen, Parolen am Rande belebter Plätze. Wir müssen lernen, mit zunehmender Überwachung des urbanen Raumes und Protesten durch Kameras und Drohnen umzugehen und beweglich zu bleiben.
Bundesweit regt sich Widerstand und schließen sich Betroffene in Mieterinitiativen zusammen. Leerstehende Wohnungen und Häuser werden besetzt und wieder mit Leben gefüllt. Großdemonstrationen mit zehntausenden Menschen haben Signalwirkung. Ansätze von nachbarschaftlicher Vernetzung und Organisierung in den Stadtteilen sind wichtige Voraussetzung, um sich gemeinsam gegen Mietwucher zu wehren. Dabei lassen wir uns die Kampfformen nicht von Gesetzbüchern diktieren. Wir wählen die Aktionsformen, die angesichts der zugespitzten Lage angebracht und legitim sind, selbst. Dazu zählen Hausbesetzungen, die Aneignung öffentlicher Räume und das Verhindern von Zwangsräumungen. Die Forderung nach Enteignung großer Immobilienkonzerne wie Vonovia ist gut und richtig. Grund und Boden gehören in Gemeineigentum. Zuzug, Bevölkerungswachstum und Geflüchtete sind nicht der Hauptgrund für explodierende Mieten, sondern die Profitmacherei mit Boden und Immobilien.
Es erfordert viel Durchhaltevermögen und Kraft wenn wir uns als MieterInnen gegen mächtige Gegner wie Vonovia oder gegen eine für unsere Belange taube Politik zur Wehr setzen. Doch auch Teilsiege können wir nur durch aktiven Widerstand erreichen. Das belegen viele Fälle, in denen sich Vonovia gezwungen sah Mieterhöhungen zurückzunehmen und Zwangsräumungen auszusetzen. Immer hatte es hartnäckigen und öffentlichkeitswirksamen Protest gegeben. Inspiration und Mut können uns auch Mietenproteste vergangener Tage geben. Zugeständnisse und Rechte bekommen wir nicht geschenkt, wir müssen sie uns nehmen und aktiv erkämpfen. Es waren mitunter zahlreiche militante Aufstände, wie die mehrtägigen „Blumenstraßenkrawallen“ mit 4000-5000 NachbarInnen gegen willkürliche Zwangsräumungen 1872 in Berlin, die eine strukturelle Formierung der MieterInnenbewegung beförderten. Diese wiederum waren Vorboten der Entstehung von MieterInnenvereinen im gesamten Deutschen Reich, die sich 1900 zum „Verband Deutscher Mietervereine“ zusammenschlossen. Einen weiteren wichtigen Vorstoß für die Einführung und Etablierung von MieterInnenrechten waren die Klassenkämpfe in der Novemberrevolution und den Folgejahren. Reichsweit gebildete MieterInnenräte – oft hervorgegangen aus den Arbeiter- und Soldatenräten – organisierten im April 1921 rechsweite Mietenstreiks, denen sich 300.000 Mietparteien anschlossen. Sie verweigerten die Zahlung der Miete als kollektive Kampfform, um ihre Forderungen durchzusetzen. Nach Beginn der Weltwirtschaftskrise folgte Anfang der 1930er Jahre eine zweite Mietstreikwelle. Sie legten den Grundstein für ein halbwegs soziales Mietrecht und die Einführung einer staatlichen Mietobergrenze zum Schutz der MieterInnen. Auch die Einführung eines öffentlichen Wohnungsbaus ab den 1930er Jahren ist auf die Proteste der MieterInnenbewegung zurück zu führen. In den USA waren es ebenfalls die, in weiten Teilen von Frauen getragenen, Mietenstreiks von 1904/1907, welche den Weg für die Gründung der „Bronx Tenant League“ (MieterInnenvereinigung) 1917 bereiteten. Diese organisierte stadtweite Versammlungen in New York und verfügte über eigene Streikwachen und einen Streikfonds.
Politische Streiks sind heute nach dem Gesetzbuch verboten – das hindert uns aber nicht, uns über solche Aktionsformen Gedanken zu machen und über Organisierungsansätze wie MieterInnengewerkschaften zu diskutieren. Klar, wenn nur eine Mietpartei in einer Vonovia-Wohnanlage sich weigert nach Modernisierung eine untragbare Mieterhöhung zu bezahlen, dann hat Vonovia es nicht allzu schwer. Stellen wir uns aber einmal vor was wäre, wenn alle 20 oder 200 Mietparteien in der Wohnanlage sich weigern würden, unterstützt von solidarischen BewohnerInnen weiterer Vonovia-Häuser in anderen Stadtteilen. Das wäre ein ganz anderes Druckmittel, als lediglich einen langwierigen juristischen Weg mit ungewissen Ausgang zu beschreiten oder Apelle an die Politik zu richten. Und vor allem wäre es ein Druckmittel, das Vonovia an die Substanz geht. Wir sind viele die die gleichen Sorgen, Ängste und Nöte haben. Erteilen wir den vorgegaukelten Antworten und Lösungsansätzen der Herrschenden eine Absage. Unterstützen wir uns mit gegenseitiger Solidarität und arbeiten an langfristigen Organisationsstrukturen. Machen wir uns Gedanken darüber wie eine sozialistische Gesellschaft organisiert sein kann, in der Wohnraum und die gesamte Stadt ein Gemeingut aller ist. Werden wir aktiv gegen Mietenwahnsinn, Wohnungsnot und arbeiten entschlossen an der Überwindung dieser Verhältnisse. Es lohnt sich – wir haben Städte zu gewinnen, die in unserem Interesse organisiert und bewirtschaftet werden. Wir haben Wohnraum zu gewinnen, für den wir nur so viel Miete zahlen müssen, wie für seine Instandhaltung erforderlich ist. Wir haben ein selbstverantwortliches, ein freies Leben zu gewinnen!
1 Institutionelle Anleger sind zum Beispiel auch Rentenkassen. So ist einer der Großaktionäre von Vonovia der Norwegische Pensionsfonds. Mit der Rente von ArbeiterInnen aus einem Land, werden also Rentner im anderen Land verdrängt!