Ich bin der Auffassung, dass seit den Anfängen des Widerstandes in Syrien die Unterdrückungs-, Verleugnungs- und Angstpolitik des Baath-Regimes ausreichend beschrieben und erklärt worden ist. Darum will ich auf ein selten beleuchtetes Thema – die Situation der Frauen – näher eingehen. In Syrien war es Frauen nie erlaubt gewesen, zusammenzukommen und ihre eigenen Interessen zur Sprache zu bringen. Sie waren einem strengen islamischen Recht untergeordnet, das jegliche Organisierung von Frauen bestrafte. Die Sklavenrolle der Frau wurde als Schicksal hingenommen, somit hatten sie nie den Raum und die Möglichkeit, für ihre Rechte und ihre Interessen einzutreten. Frauen wurden mit der Absicht erzogen, sich ihrem Schicksal unterzuordnen. Das ist auch der Hauptgrund, warum sich lange Zeit keine Basis für eine Widerstandsbewegung bilden konnte.

Kurdische Frauenbewegung mit Vorbildwirkung in der Region

Es waren jedoch Frauen, die dieses Schicksal geändert haben. Auch wenn die Medien nicht viel darüber berichten, führen kurdische Frauen seit dreißig Jahren einen intensiven Kampf gegen das Baath-Regime. Diese dreißigjährige Erfahrung hat auch die anderen Frauen in Syrien beeinflusst. Mit Beginn des Widerstandes in Syrien und mit der darauffolgenden Revolution in Rojava sind viele Frauengruppen auf der Suche nach Lösungsmodellen für die Frauenfrage; ihr Bewusstsein für die Geschlechterfrage hat sich entwickelt. Die in Syrien entstehenden Frauenbewegungen wurden zu einem beträchtlichen Teil von den kurdischen Frauen beeinflusst. Auf der einen Seite sind solche revolutionären Entwicklungen in Rojava zu beobachten und auf der anderen Seite nehmen im restlichen Land die Gewalt gegen die Frauen und ihre Unterdrückung neue Dimensionen an. In dieser Phase sind Frauen nicht nur Opfer der Baath-Diktatur, sondern auch Betroffene der Gewalt und Unterdrückung durch oppositionelle Gruppen in Syrien. Frauen, die sich gegen die Gewalt- und Leugnungspolitik des Baath-Regimes zur Wehr setzen, werden zu Opfern von Baath-Gegnern, die unter dem Deckmantel des Islam Frauen verhaften, foltern und vergewaltigen. Von vielen Frauen fehlt jegliche Spur und es ist nicht dokumentiert, welcher Willkür sie ausgesetzt sind. Den geflüchteten Frauen, die zumeist in Flüchtlingscamps leben, geht es nicht besser, weil sie einer paternalistischen Alltagspraxis ausgesetzt sind. Frauen, die dieses »Schicksal« nicht hinnehmen und sich gegen die oben genannten Umstände wehren, erwarten Belästigungen, Erniedrigung, Vergewaltigung. Viele trauen sich nicht, diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen.

Vergewaltigung und Prostitution im Namen des Dschihad

Wie in jedem Krieg sind auch in Syrien Frauen und Kinder die Opfer, die am meisten leiden müssen. Banden, die sich mit dem Islam identifizieren, predigen, dass die Vergewaltigung der Frauen erlaubt sei. Bizarre Gesetze, wie das über die Dschihad-Ehe, die als Mittel der sexuellen Befriedigung der Dschihad-Kämpfer dient, breiten sich immer mehr aus. Frauen aus unterschiedlichen arabischen Ländern werden zum Zwecke der sexuellen Befriedigung nach Syrien geholt. Sie werden entweder krank oder infizieren sich mit dem HIV-Virus und werden zurück in ihre Heimat geschickt. Etliche Frauen machen das auch aus der Überzeugung heraus, dass die Befriedigung von Dschihadisten ihnen den Weg in den Himmel ebnet. Dieser Zustand kann mit der gesellschaftlichen Erniedrigung und Herabwürdigung von Frauen erklärt werden. Auf der anderen Seite dient er als Waffe gegen die Organisierung und den Widerstand der Frauen.

Jeder weiß, dass Rojava unter der Führung kurdischer Frauen einen großartigen Widerstand gegen das Patriarchat geleistet hat. Jegliche Form der Unterdrückung wird mit allen Mitteln bekämpft. Diese Entwicklungen sind natürlich ein Dorn im Auge reaktionärer Kräfte und somit ein Kriegsgrund. Mit der Bekämpfung der Widerstandsbewegung kurdischer Frauen, die eine Vorbildrolle für die Region spielt, versucht man, den Widerstand zu verhindern und die Gewalt gegen Frauen zu forcieren.

Kurdische Freiheitsbewegung als Basis unseres Kampfes

Wie auch oben erwähnt, blickt die Frauenbewegung in Rojava auf eine dreißigjährige Erfahrung zurück. Der Freiheitskampf der PKK, der sich in allen vier Teilen Kurdistans etablieren konnte, ist vor allem bei Frauen auf offene Ohren gestoßen. Abdullah Öcalan, der die Freiheit der Frauen als Grundbedingung für die Freiheit Kurdistans sieht, hat durch seine Ausführungen zur Frauenfrage sehr vielen aus der Seele gesprochen. Der große Erfolg der PKK ist auch auf den intensiven Kampf der Frauen zurückzuführen. Die Hürden für die Selbstorganisierung der Frauen konnten durch die PKK zu einem beträchtlichen Teil überwunden werden. Tausende haben sich dem Freiheitskampf der PKK angeschlossen sowie sich an politischen Entscheidungsprozessen aktiv beteiligt. Viele dieser Frauen sind diesem Kampf auch zum Opfer gefallen. Darum sind die aktuellen Errungenschaften in Rojava vor allem der kurdischen Freiheitsbewegung zu verdanken.

Für die Freiheit haben wir unsere Selbstverteidigung und Organisierung fortentwickelt

Frauen haben innerhalb des revolutionären Prozesses in Rojava einen eigenen Willen und sind eine stabile Kraft; sie haben überall ihre eigenen Rätestrukturen organisiert. Damit konnten soziale Probleme erkannt und in die Tagesordnung aufgenommen werden, Frauen entscheiden selbst und finden Lösungen für die Probleme. Sie haben eine Vorreiterrolle in den Serhildans (Volksaufständen), Demonstrationen und jeglichen anderen Aktionen eingenommen. Politisch, wirtschaftlich, aber auch militärisch entwickeln sie immer mehr ihre Selbstorganisierung. Unter dem Namen Yekîneyên Parastina Jinê (YPJ) haben sie ihre Selbstverteidigung. Frauen haben großes Interesse an ihrer eigenen Organisierung und den Arbeiten, vor allem an der Selbstverteidigung.

Auch in der Politik haben Frauen trotz großer Schwierigkeiten bewiesen, dass sie auf jeden Fall eine führende Rolle spielen können und diese auch einnehmen werden. An der provisorischen Regierung der Region nehmen Frauen aktiv teil.

In allen Städten in Rojava, in denen die Revolution stattgefunden hat und die unter unserer Verwaltung stehen, wird die Leitung mit dem »System der Kovorsitzenden« realisiert, auch in anderen wichtigen Entscheidungsgremien der Verwaltung gestalten Frauen mit.

Das heißt, dass wir auf der einen Seite gegen Angriffe von außen kämpfen und uns verteidigen müssen, aber auf der anderen Seite wird versucht, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung durch lokale Verwaltungseinheiten zu befriedigen.

Wir haben in allen Bereichen eine vierzigprozentige Geschlechterquote verwirklicht und diese Geschlechterquote haben wir zu einem Prinzip erhoben.

In Rojava werden Gesundheitsseminare für Frauen, Erste-Hilfe-Kurse, Kurse zur Kindergesundheit, Kultur- und Kunst-Workshops und weitere Kurse zu den Themen, welche die Frauen vorschlagen, organisiert. Damit schaffen wir buchstäblich die Grundlage dafür, dass in Zukunft nur Frauen über Frauenthemen entscheiden und nicht jemand anders. Es werden ein neues Bewusstsein und Selbstbewusstsein entwickelt.

Rückständigkeit in der Gesellschaft wird überwunden

Uns war natürlich bewusst, dass wir mit dem Beginn des Bürgerkriegs mit massiven Problemen konfrontiert sein würden. Dementsprechend haben wir uns bemüht, notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Obwohl es seit dreißig Jahren einen Kampf gegen das Patriarchat in Rojava gibt und vieles überwunden wurde, gibt es immer noch Ruinen dieser Mentalität. Es gibt noch immer Frauen, die sich der »Schicksals«-Mentalität fügen. Die sogenannten »Ehrenmorde« und Suizide der Frauen sind mit dem Beginn des organisierten Widerstands der Frauen dezimiert worden.

Das ist natürlich eine Situation, die aufgrund der Organisierung und des Widerstands der Frauen innerhalb der Gesellschaft erreicht worden ist. Wir haben, speziell was diese Themen betrifft, besonderen Wert auf diese Arbeiten gelegt. Es schalten sich unsere Bildungszentren, Frauenverteidigungskräfte und Volksgerichte ein, um sich ganz individuell mit dem Problem auseinanderzusetzen und es zu lösen.

Trotzdem gibt es noch vieles zu verändern. Wir müssen die Frauen noch viel mehr in die Bewegung einbeziehen, weil die männliche Dominanz in der Gesellschaft weiterhin existiert. In Rojava wird sich die Frau in jedem Bereich der Revolution organisieren, mitgestalten und formen. Denn es ist ein viel zu hoher Preis gezahlt worden, um etwas anderes machen zu können.

Trotz der vielen Hürden und Herausforderungen wurde in der Frauenbewegung nie ein Schritt zurück gemacht, nie wurden die Arbeiten unterbrochen und die Motivation der Frauen war immer hoch. Denn ein Schritt zurück würde es erlauben, dass das Patriarchat wieder unser Leben gestaltet.

Nicht nur die Kurdinnen, sondern alle Frauen in Syrien werden wir mobilisieren und organisieren

Auf der anderen Seite versuchen wir, die Errungenschaften des Kampfes und Widerstands zu schützen und zu stärken. Diese Schritte begrenzen wir jedoch nicht nur auf kurdische Frauen. Wir wollen gleichzeitig arabische, assyrische und armenische Frauen erreichen. Unsere Beziehungen und Arbeiten sind schon seit Beginn der Revolution im Gange. Als Ergebnis der gemeinsamen Arbeit haben wir uns vor Kurzem in Qamişlo (Al-Qamishli) zur »Initiative der syrischen Frauen« zusammengeschlossen. Ob politische, soziale oder bürgerliche Frauen – alle Organisationen finden sich in dieser Initiative wieder.

Dieser Schritt war aus Sicht des vereinten Kampfes der Frau erforderlich. Unser Ziel ist es, all jene Frauen zu erreichen, die noch immer nicht an die Möglichkeit der Autonomie, der Freiheit und den Willen der Frau glauben. Von Rojava ausgehend wollen wir alle Frauen in Syrien unter einem Dach vereinen. Wir sind uns im Klaren darüber, dass es nicht einfach sein wird, aber wir wissen auch, dass es notwendig ist. Weil wir denken, dass die Frau in jedem Bereich ihres Lebens unter Druck steht und ausgenutzt wird. Wir wissen, dass jede Frau dies überwinden will. Wenn die Probleme und Ziele der Frauen dieselben sind, muss auch ihr Widerstand derselbe sein. Unter diesem Motto werden wir in Rojava alle Frauengruppen, Zusammenschlüsse und Organisationen auf einer gemeinsamen Basis zur gemeinsamen Arbeit vereinen. Zurzeit erstellen wir gemeinsame Programme und organisieren gemeinsame Veranstaltungen und Demonstrationen.

Îlham Ehmed, Vertreterin der kurdischen Frauenbewegung in Rojava (Westkurdistan) und Mitglied des Kurdischen Hohen Rates

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