Am Samstag, den 28. Januar 2006 sollte ein Aufmarsch mehrerer faschistischer Organisationen in Stuttgart stattfinden. Angemeldet wurde er von der Kameradschaft Stuttgart, verschiedene NPD-Kreisverbände, Kameradschaften und Gruppen “Freier Nationalisten” mobilisierten ebenfalls dorthin. Der Aufmarsch sollte sich gegen den Paragraphen 130, also für eine Aufhebung der ohnehin recht wagen gesetzlichen Beschränkung faschistischer Propaganda richten. Ursprünglich waren für diesen Tag bundesweit drei zeitgleiche Aufmärsche der Nazis – in Karlsruhe, Celle und Dortmund -geplant. Nach verschiedenen Gerichtsurteilen änderten sie die Aufmarsch-Orte kurzfristig und wollten nun in Lüneburg, Stuttgart und Dortmund aufmarschieren. Per Gerichtsbeschluss wurden die, zunächst auch in diesen drei Städten verbotenen Aufmärsche kurzfristig genehmigt.

In Stuttgart riefen daher verschiedene Antifaschistische Organisationen zu einer Antifaschistischen Kundgebung und Demonstration auf, sowie dazu den Nazi-Aufmarsch zu verhindern.
Bereits am Donnerstag, den 26. Januar kam es nach der Aufhebung des Verbots des Aufmarsches in Stuttgart zu einer Spontan-Demonstration. Etwa 40 AntifaschistInnen zogen in Stuttgart-Zuffenhausen zur Wohnung der Anmelderin von der Kameradschaft Stuttgart. Mit Transparenten, Flugblättern, Megaphon und Parolen wurde dem Protest gegen einen Aufmarsch der Nazis in Stuttgart, auch noch in zeitlicher Nähe zum Jahrestag der Befreiung des KZ in Auschwitz, Ausdruck verliehen. Im Anschluss an diese Demonstration führte die Polizei einen Großeinsatz durch und versuchte die DemonstrationsteilnehmerInnen die sich bereits wieder auf dem Heimweg befanden festzunehmen. Dass gegen Ende der Demonstration die Provokationen der Faschistin aus der Wohnung mit zwei Steinwürfen gegen ein Fenster beantwortet wurden, nahm die Polizei zum Vorwand um eine militante Demonstration und einen angeblichen “Landfriedensbruch” zu konstruieren. Alle in der Umgebung kontrollierten Menschen die die Polizei der Linken zuordnete und die daher festgenommen wurden, wurden am nächsten Tag der Haftrichterin Haas vorgeführt. Diese verfügte, dass zwei Personen bis zu einem Schnellverfahren in Haft bleiben, elf Personen wurden bis Samstag Abend in Unterbindungsgewahrsam behalten, lediglich eine Person wurde unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Die Festgenommenen wurden in der ersten Nacht in Haft bei Kälte ohne Matratzen und Decken, teilweise ohne Wasser und in der ganzen Zeit in Einzelhaft festgehalten. Außerdem wurde einigen von ihnen ein Telefonanruf verweigert. Offenbar hatten auch Beamte des polizeilichen Staatsschutz, die in der Haftanstalt zugegen waren Anteil an den Maßnahmen.

Diese massive Repression im Vorfeld des geplanten Aufmarsches, konnte die Antifaschistische Mobilisierung am 28. Januar jedoch weder relevant beeinträchtigen noch einschüchtern. Etwa 1500 Menschen beteiligten sich an der Antifaschistischen Demonstration vom Bahnhof aus in die Innenstadt. Zahlreiche Menschen begaben sich direkt zum Auftaktort des Nazi-Aufmarsches, den Erwin Schöttleplatz um diesen zu blockieren.
Nachdem die etwa 200 Nazis vom Bahnhof aus mit polizeilichem Geleitschutz per U-Bahn zu ihrer Auftaktkundgebung gebracht wurden, zog auch ein großer Teil der Antifaschistischen Demonstration in diese Richtung. Die Polizei versuchte mit mehreren Absperrungen und Einkesselungen die Strecke des Nazi-Aufmarsches freizuhalten, scheiterte aber an der großen Zahl sowie der Entschlossenheit der AntifaschistInnen. Außerdem ermöglichten AnwohnerInnen durch das öffnen von Haus- und Hintereingängen den Eingekesselten ein weiteres vordringen in Richtung Erwin Schöttleplatz. Die Polizei sah sich nun gezwungen die Absperrungen weitgehend aufzugeben und ihre Kräfte, etwa 800 an der Zahl, hauptsächlich in direkter Umgebung der Nazis zusammenzuziehen. Dann folgende Versuche gegen die AntifaschistInnen vorzugehen und die geplante Route des Nazi-Aufmarsches Stück für Stück freizubekommen scheiterten bereits im Ansatz an der entschlossenen Gegenwehr und der für die Polizei unkontrollierbaren Situation. Sowohl die große Anzahl von AntifaschistInnen, insgesamt waren etwa 2000 Menschen an verschiedenen Stellen um den Nazi-Aufmarsch herum auf den Beinen, als auch die Bereitschaft gegen die Polizei und die Nazis militant Widerstand zu leisten um den Aufmarsch zu verhindern, ließ die Polizei recht schnell einsehen, dass ein weiteres vorankommen nicht möglich war. Bei mehreren Scharmützeln zwischen der Polizei und AntifaschistInnen kamen Rauchbomben, Steine, Bengalische Feuer und Holzlatten zum Einsatz, mehrere Polizeifahrzeuge, z.B. ein Kamerawagen wurden angegriffen und mussten sich zurückziehen, auch wurde eine Barrikade errichtet. Der Nazi-Aufmarsch wurde so nach wenigen Metern aufgehalten und die Polizei beschränkte sich darauf die Nazis vor militanten Angriffen und Durchbruchversuchen von Seiten der AntifaschistInnen zu schützen.
Eine Gruppe Nazis die mit Knüppeln bewaffnet in der Antifaschistischen Blockade auftauchte, wurde angegriffen und musste sich letztlich in ein Polizeirevier flüchten – die zehn bei dieser Auseinandersetzung angeblich verletzten PassantInnen, von welchen im Polizeibericht zu lesen ist, existieren nach unseren Informationen nur in der Phantasie der Polizeischreiber.
Nach mehreren Stunden wurden die Nazis schließlich in Sonderbusse verfrachtet und von der Polizei nach Esslingen eskortiert. Von dort aus kamen sie gegen später wieder mit einem Zug zurück nach Stuttgart und wurden am Bahnhof von der Polizei in verschiedene S-Bahnen und Züge verfrachtet.

Im Verlauf des Tages kam es bei Polizeikontrollen zu mehreren Platzverweisen u.a. wegen Aufnähern mit durchgestrichenen Hakenkreuzen. Laut Polizeiangaben wurden 9 Menschen festgenommen, mindestens eine Person wurde nach ihrer Festnahme von der Polizei schwer verletzt.

Alles in allem kann der Tag in Stuttgart als Erfolg für alle AntifaschistInnen gewertet werden: Es wurde verhindert, dass die Nazis ihre menschenverachtende Hetze auf die Straße tragen können. Ihnen wurde einmal mehr aufgezeigt, dass Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus auf den Widerstand zahlreicher Menschen treffen. Bei den Blockaden beteiligten sich Menschen aus unterschiedlichen Spektren und setzten den Nazis gemeinsam ihren Widerstand entgegen.
Trotz kurzfristiger Mobilisierung und trotz massiver Polizeirepression gegen AntifaschistInnen im Vorfeld waren die Aktivitäten gegen den Nazi-Aufmarsch erfolgreich.

Es gilt nun darauf aufzubauen, Antifaschistische Strukturen und Aktivitäten kontinuierlich auszubauen und der staatlichen Repression zu widerstehen.

Die Antifaschistischen Aktivitäten sowie die Repression im Vorfeld wurden u.a. auch auf einer antikapitalistischen Demonstration gegen das World Economic Forum (WEF) am Samstag in Basel, an der sich etwa 2500 Menschen beteiligten thematisiert. Diese Solidarität mit unseren Aktivitäten möchten wir erwidern und uns mit den Aktivitäten gegen das WEF solidarisieren!

Zusammen kämpfen – gegen Faschisten, Staat und Kapital!

Bericht der VVN/BDA zu Nazi-Aufmarsch und Gegenaktivitäten
stuttgart-ohne-nazis.linke-seiten.de