Vorwärts und nicht vergessen…

Um einige gesellschaftliche Zukunftsprognosen wagen zu können, ist es gegenwärtig kaum nötig, über prophetische Fähigkeiten zu verfügen. So manche Aussage gehört eher in die Rubrik der Binsenweisheiten denn in die der gewagten Thesen. Die Wirtschaftsführungen und ihre politischen Interessenvertreter zum Beispiel werden in den nächsten Jahren weiterhin umfangreiche Verschlechterungen der Lebensbedingungen vieler Menschen durchzusetzen versuchen, um damit ihren Profit zu sichern. Ähnlich sicher ist uns die mit diesen Verschlechterungen stets einhergehende Aufrüstung des staatlichen Repressionsapparates.

Der “grosse Bruder” wächst immer weiter

Auf allen Ebenen wurde die Aufrüstung des staatlichen Überwachungs- und Kontrollapparates in den letzten Jahren betrieben. Mal wurde sie mit grossem propagandistischen Getöse durchgesetzt und Politiker übten sich im Säbelrasseln gegen “den Terrorismus”, “die organisierte Kriminalität”, “Schleuserbanden” oder sonstige einsetzbare Legitimationskonstrukte, mal arbeitete man eher leise im Hintergrund. Die Ergebnisse dieser Entwicklung reichen von einer stets steigenden Zahl Gefangener in den Knästen, verschärften Gesetzen bis zu praktisch grenzenlosen Befugnissen der Polizeibehörden; von der flächendeckenden Überwachung elektronischer Kommunikationsmittel und gigantischen DNA- Datenbänken bis hin zu abgeschotteten Aussengrenzen, die alleine erwünschte Kapitalflüsse passieren lassen sollen, nicht jedoch vor Krieg und Hunger flüchtende Menschen.
Diese Aufrüstungspolitik wird unabhängig von einer spezifischen Regierung bundesweit und international in europäischem Kontext betrieben. Der bürgerliche Staat kommt damit seiner grundsätzlichen Funktion nach, mit den ihm zur Verfügung stehenden Regulierungsinstanzen den Rahmen zur kapitalistischen Produktionsweise zu stellen. Der gegenwärtige Um- und Abbau des “Arbeitsmarktes” im weitesten Sinne opfert(e) zusehends gesicherte Arbeitsverhältnisse, soziale Absicherungen als unprofitablen Luxus und unterwirft praktisch alle Bereiche des Lebens von Bildung bis Gesundheit dem “freien Wettbewerb”.

Damit verschieben sich auch die Mittel und Legitimationsmuster des Staates zur Aufrechterhaltung des “sozialen Friedens”, weg von der illusionären Ideologie eines Kapitalismus, der alle teilhaben lässt an Wohlstand und entsprechenden existenzsichernden und kulturellen Konsummöglichkeiten. Die gegenwärtige ideologische Begleitmusik ist zum einen eine Neuauflage des bürgerlich- liberalen Individualismus: jedeR soll sich als Manager, Vermarkter und Planer seiner eigenen Arbeitskraft sehen, die es gegenüber einer stärker werdenden Markt-Konkurrenz zu verkaufen gilt. Andererseits werden altbekannte reaktionäre Kollektividentitäten wieder stärker propagiert und mobilisiert: der Kulturkampf zwischen christlichem Okzident und islamischem Orient, der nationale Standort gegen internationale Konkurrenz, die Nation gegen “innere” und “äussere” Feinde etc. Schliesslich sollen mit dem Repressionsapparat, mit Knüppel und Gesetzbuch direkt auftretende soziale Widersprüche in welcher Form auch immer klein gehalten und isoliert werden.
Der Repressionsapparat ist nicht nur zentrale Stütze der Profitwirtschaft, er ist längst Teil von ihr geworden. Die Aktien von Rüstungskonzernen florieren, private Sicherheitsdienste expandieren und bekommen immer neue Aufgabengebiete vom Staat eingeräumt und selbst die Privatisierung von Knästen ist derzeit auf dem Vormarsch. Alleine die Einrichtung und Modernisierung polizeilicher Datenbanken, satellitengesteuerter Überwachungs- und Koordinierungssysteme und Massenscreeningsprogramme unterhalten einen wachsenden Zweig der Software-Industrie.

 Im Fadenkreuz

Die gegenwärtige Aufrüstung des Repressionsapparates ist vorrangig eine präventive Massnahme zur Sicherung der bestehenden Verhältnisse in Zeiten zunehmender Armut und Verelendung und zielt damit auf die gesamte Gesellschaft ab. Betroffen sind von ihr bislang jedoch vor allem gesellschaftliche Gruppen, die sich -gezielt oder ungewollt- an einem der gesellschaftlichen “Brennpunkte” bewegen, an dem die sozialen Widersprüche besonders prägnant zu Tage treten. Dies sind auf der einen Seite Flüchtlinge, Obdachlose, Junkies und andere, von gesellschaftlicher und institutioneller Diskriminierung verdrängte Gruppen. Andererseits ist es die (radikale) Linke, die die kapitalistische Gesellschaftsstruktur selbst in Frage stellt und Alternativen zu ihr propagiert.

Der rote Dorn im staatlichen Auge

Die Repression gegen die Linke ist für den Staat zum einen pure Notwendigkeit, will er in Zeiten, in denen der Kapitalismus sein “menschliches Antlitz” offensichtlich für immer mehr Menschen nicht mehr zu halten vermag, die Propagierung von und den Kampf für gesellschaftliche Alternativen klein halten und isolieren. Zum anderen werden im Kampf gegen linke Strukturen und Aktivitäten Taktiken trainiert, wie sie etwa bei Streiks oder den -auch von den Politstrategen erwarteten- sozialen Massenprotesten übernommen werden können.
Auch in Baden-Württemberg ist der Wille der Staatsschutzorgane in den letzten Jahren deutlich und spürbar geworden, die Repressionsschraube gegen die Linke anzuziehen. Ein Verbund von Staatsanwaltschaft und Polizeibehörden zeichnet sich verantwortlich für eine Flut an Prozessen, Hausdurchsuchungen und massenhaften Anzeigen. Die Folgen hiervon für die Betroffenen reichen von mehrmonatiger U-Haft wegen militanter Selbstverteidigung gegen einen Nazi-Angriff über Bewährungsstrafen für das Verteilen kriminalisierter Flugblätter oder für die Beteiligung an einer Demonstration bis hin zu Bussgeldbescheiden wegen eines mitgeführten Schals oder Jugendarrest wegen “ehrabschneidender” Parolenrufe.

Viele Repressionsschläge in jüngerer Zeit richteten sich gegen antifaschistische Aktivitäten. So wurde etwa der Aufruf, gegen einen Nazi-Aufmarsch aktiv zu werden, zu einem “Aufruf zur Straftat” gemacht, was nicht nur mehrere Hausdurchsuchungen rechtfertigen sollte; das Verteilen des Flugblattes selbst führte eben auch zu einer Bewährungsstrafe. Eine länger nicht mehr in Anschlag gebrachte Methode aus dem staatlichen Waffenarsenal wurde ebenfalls wiederbelebt: das Berufsverbot. In Baden-Württemberg und Hessen wird einem angehenden Lehrer die Aufnahme in den Schuldienst aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer antifaschistischen Gruppe verweigert. Neben solchen grösseren Punkten wurden und werden TeilnehmerInnen an antifaschistischen Mobilisierungen massiv drangsaliert, bis hin zum Versuch der letzten Zeit, im Grossraum Stuttgart antifaschistische Symbole wie zerschlagene Hakenkreuze zu “verfassungsfeindlichen Symbolen” zu erklären. Vielerorts ist der Kampf gegen Nazis auch in Baden-Württemberg eine schiere Notwendigkeit der Selbstverteidigung. Häufig wird die Präsenz von Nazis vorort heruntergeredet oder gar geduldet. Ein Nazi-Aufmarsch nach dem anderen wird amtlich oder gerichtlich genehmigt und polizeilich gesichert. Vor genau diesem Hintergrund soll verhindert werden, dass Menschen in ihrem Engagement über die so häufig inszenierten Lippenbekenntnisse der ParlamentarierInnen hinausgehen und selbst aktiv werden.

Daneben standen vor allem linke und selbstverwaltete politische Treffpunkte und Wohnräume im Fokus der Staatsschutzstrategen. Hier gehen ökonomische Konzepte zur Durchkommerzialisierung der Innenstädte einher mit dem politischen Willen, den Freiraum der Linken massiv zu beschneiden. In Karlsruhe wurde das Gebäue des Wohn- und Politprojekts “ex-Steffi” geräumt, in Stuttgart das Jugendhaus OBW9, in Freiburg die Wagenburg der “Schattenparker”. In Heidelberg werden dem Autonomen Zentrum weiterhin Räume vorenthalten. Andere Jugendhäuser sehen sich stets mit der Drohung der Streichung von Zuschüssen konfrontiert, sollten sie sich entsprechend politisch positionieren.
Schliesslich richtet(e) sich die Repression gegen die Beteiligung linker (revolutionärer) Kräfte an sozialen Protesten, Streiks und gegen selbstinitiierte Interventionen zur Propagierung einer revolutionären Gesellschaftsperspektive. Revolutionäre Blöcke auf Demos gegen den Sozialabbau wurden observiert, die revolutionäre 1.Mai-Demonstration in Stuttgart vor zwei Jahren z.B. angegriffen, abermals folgten Prozesse, Bewährungsstrafen und Geldbussen.
Die Zielrichtung der Repression gegen die Linke ist deutlich zu erkennen. Langjährig Aktive bzw. Organisierungen und Strukturen sollen in ihrer politischen Praxis behindert werden. Darüber hinaus sollen (potentiell) Interessierte und solidarische Menschen eingeschüchtert und damit die politische Praxis isoliert werden. Die Grenzen der Repression werden soweit vorverlagert, dass die alleinige Beteiligung an einer Demonstration oder etwa das Tragen eines antifaschistischen Symbols zur Konfrontation mit der Staatsgewalt führen soll. Doch nicht nur gegenwärtig aktive Linke sind von den staatlichen Bemühungen um Einschüchterung und Abstrafung betroffen. Immer noch sitzen in den deutschen Knästen Gefangene der Roten Armee Fraktion (RAF) ein: Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt (jeweils seit fast 24 Jahren), Eva Haule (seit 20 Jahren, teils Freigängerin) und Birgit Hogefeld (seit 13 Jahren).

Während der langen Haftzeit der Gefangenen hat sich der politische Rahmen grundsätzlich geändert. Die politische Bewegung, aus der die RAF hervorging existiert faktisch nicht mehr, wie sich auch die RAF selbst aufgelöst hat; die Staatsschützer von einst haben oftmals ihre Stellen an Nachfolger abgegeben usw. Dies alles ändert nichts am Willen zur Abstrafung. Jede Forderung zur Freilassung wird beständig ignoriert, jeder Antrag auf Hafterleichterung und Haftentlassung wird nur in Kleinstschritten gewährt oder gleich abgelehnt. Der Staat hat mit einem solchen Vorgehen immer die Folgen langjähriger Isolation- und Einzelhaft für die Gefangenen einberechnet. Was auch Teil des staatlichen Kalküls sein kann, hat die französische Justiz jüngst präsentiert. Dort wurde die Haft von Joëlle Aubron aus der bewaffnet kämpfenden Gruppe Action Directe nach 17 Jahren Knast nur aufgrund ihres unheilbaren Krebses am 16.6.04 ausgesetzt. Joëlle Aubron starb kurz darauf am 1.3.2006.
Die RAF wird darüber hinaus weiterhin zur Begründung neuer Verfahren herangezogen. Kriminologisch nicht aufgeklärte Aktionen der RAF werden heute zum Anlass genommen, erneute Ermittlungsverfahren einzuleiten, DNA-Proben nach teilweise über zwanzig Jahren einzuholen. Die Botschaft eines solchen Vorgehens ist trotz des Bezugs auf eine vergangene geschichtliche Etappe linker Organisierungen vor allem an die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen gerichtet: der Staat duldet keine Infragestellung seines Gewaltmonopols, der Staat vergisst nicht, er duldet keine Lücken in seiner Überwachung und in seiner Festschreibung der Geschichte. Diese Warnung verbleibt nicht zufällig vor dem Hintergrund wachsender sozialer Proteste und dem offensichtlichen Scheitern sozialdemokratischer oder sonst wie gearteter reformistischer Bemühungen.

Jeder gegen Jeden und wir gegen die Anderen

Mit Flüchtlingen und MigrantInnen schafft der Staat sich nicht nur ein weiteres Testfeld für repressive Techniken, er nimmt sie auch als zentrale Projektionsfläche, auf die reaktionäre Mobilisierungen abzielen.
Flüchtlinge leben in Deutschland -sofern sie die oftmals tödlichen Aussengrenzen und erste behördliche Hürden hinter sich bringen konnten- in Lagern kaserniert abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Oftmals jahrelang werden sie unter der beständigen Drohung ihrer Abschiebung in einer Warteschleife alleine sitzen gelassen. Selbst nach jahrelanger anschliessender “Duldung” und entsprechender sozialer Verankerung werden Menschen von Heute auf Morgen in Abschiebeknäste gesperrt oder direkt in ihr “Herkunftsland” abgeschoben -wo sie vielleicht niemals lebten, weil sie erst hier geboren wurden. Dabei werden offene Bürgerkriege und diktatorische Militärregime zu Konflikten herabgeredet bzw. zu demokratischen Verhältnisse umgedeutet, die eine Abschiebung der Betroffenen rechtfertigen sollen, da ihnen keine Gefahr drohe. Ob in den betreffenden ökonomische Lebensperspektiven existieren spielt ohnehin keine Rolle.
Die finanzielle Unterstützung des Staates ermöglicht den Flüchtlingen kein menschenwürdiges (Über)Leben, die Gesetze erlauben keine regulären Arbeitsverhältnisse. So sind viele gezwungen, sich in den untersten Ebenen der Billiglohnsektoren in der Gastronomie, Reinigungsfirmen u.ä. oftmals schwarz durchzuschlagen. Sie werden zu erpressbaren Arbeitskräften, die für einen Hungerlohn Knochenjobs verrichten und für die keine Absicherung vorgesehen ist.
An Flüchtlingen werden viele Überwachungs- und Kontrollstrategien gestestet, bevor sie auf weitere gesellschaftliche Gruppen ausgeweitet werden (sollen). Die biometrische Erfassung ist bereits lange vor dem neuen, für alle eingeführten Ausweis bei Flüchtlingen eingeführt worden. Lebensmittelrationen und Einkaufschipkarten als “Ersatz” für finanzielle staatliche Leistungen, wie sie vielerorts bei Flüchtlingen schon länger üblich sind, wurden ebenfalls für ALGII-EmpfängerInnen diskutiert. Wohl nirgendwo in Westeuropa ist die Situation der Flüchtlinge derart isoliert wie in Deutschland, was der staatlichen Willkür praktisch freien Spielraum lässt.

Den Pogromen rassistischer Mobs im Zuge des Anschlusses der DDR Anfang der 1990er Jahre war eine massive Stimmungsmache gegen Flüchtlinge vorausgegangen. Ihnen folgte eine massive, bis heute kontinuierlich weiter betriebene Verschärfung des “Ausländerrechts”. Bevölkerungsgruppen werden zu Sündenböcken für soziale Widersprüche gemacht, an denen sich der “Volkszorn” entladen kann und soll. Heute ist auch diese Feindbildkonstruktion breiter angelegt und betrifft selbst die “zweite” und “dritte” Generation (also hier geborene Kinder von MigrantInnen), die öffentlich zu asozialen Fremdkörpern abgestempelt werden, die es mit Integrationsmassnahmen und Polizeiapparat zurechtzubiegen oder gleich zu bekämpfen gilt.
Die sich verschärfenden sozialen Verhältnisse rufen viele unterschiedliche Reaktionen hervor, und viele von ihnen sind alles andere als fortschrittlich: eine zunehmende, ziellose oder nach “unten” weitergegebene Aggression, blinde Zerstörungswut, Formen der Selbstzerstörung, die Suche nach esoterischen/religiösen Sinnwelten etc… Verschiedene dieser Elemente werden zu neuen Feindbildern geschweisst: dem des islamistischen, aggressiven Jugendlichen, der am besten noch im Drogengeschäft steckt.

 Die Gesellschaft im Blick

Wie schnell die Repressionsorgane bereit sind, ihr Aktionsfeld auszuweiten, haben sie in Ansätzen bereits bei den diesjährigen Streiks im öffentlichen Dienst und an den Unis gezeigt. Ermittlungsverfahren gegen Streikposten oder die polizeilich durchgesetzte Stürmung des Winter-Streulagers in Stuttgart sind nur Einzelbeispiele hierfür. Andernorts ging man gleich rabiater zur Sache: in Osnabrück wurden Streikbrecher von der Polizei gewaltsam durchgesetzt, in Duisburg konstruiert man ein Strafverfahren, um die Entlassung von streikenden Gewerkschaftsmitgliedern im Nachhinein zu rechtfertigen. Die letztjährigen StudentInnenproteste wurden teils von massiven Polizeiaufgeboten begleitet, die selbstbestimmten Aktionen der StudentInnen mit Festnahmen begegneten.
Auch im Zuge der Fussball-WM werden neue Massenüberwachungstechniken, die Zusammenarbeit nationaler Polizeibehörden und der Bundeswehreinsatz im Inneren gestestet. Letztere könnte dann -wie es unvorsichtige Apologeten bereits anmerkten- auch bei sozialen Protesten zum Zuge kommen.
Staatliche Überwachung und Kontrolle haben auf die gegenwärtige Gesellschaft hin ausgerichtet eine präventive Funktion; sie sollen verhindern, dass sich Widersprüche in welcher Form auch immer überhaupt artikulieren, geschweige denn: organisieren.

Nicht umsonst setzt ein grosser Teil präventiver Massnahmen an gesellschaftlichen Gruppen und Subkulturen an, deren Angehörige im Schnitt relativ jung sind und entsprechend noch zur Konformität gebogen werden sollen. SkaterInnen werden aus der Innenstadt vertrieben, SprayerInnen werden zu Straftätern, auf die auch mal mit dem Hubschrauber Jagd gemacht wird. Fussballfans landen schnell in Hooligandateien und werden aus der durchkommerzialisierten Fassade der Stadien geschmissen, KifferInnen werden immer repressiver behandelt etc. Während die Präsentationsflächen der Schaufenster und die Werbebotschaften allerorts die Errungenschaften der Warengesellschaft lobpreisen, wird immer rigider gegen diejenigen vorgegangen, die sich diese Güter zur Existenzsicherung oder kulturellen Entfaltung klauen, weil sie nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen. In vorgeführten Paradeverfahren werden Leute zu drakonischen Strafen verurteilt, weil sie sich Software oder Musik illegal aus dem Internet heruntergeladen haben usw. All diese Einzelpunkte reihen sich aneinander in dem Versuch, eine Konformität des Individuums im Sinne der bestehenden Verhältnisse durchzusetzen.

 Schafe, die den Wolf predigen

Die bürgerliche Ideologie, die den Kapitalismus stützt, ist nicht als Produkt gewiefter Propagandaproduzenten zu verstehen. Sie ergibt sich aus der Logik des Kapitalismus selbst und reproduziert sich in dessen Alltag. Die zunehmende Konkurrenz des Wettbewerbs durch Massenarbeitslosigkeit verschärft etwa paradoxerweise real die Vereinzelung der Menschen. Nationalistische Mobilisierungsmuster der illusionären Interessengemeinschaft zwischen Lohnabhängigen und nationalem Standort gegen “Sozialschmarotzer” und soziale Gruppen, denen es faktisch noch schlechter geht, werden reell von grossen Teilen der Bevölkerung in vielfältiger Weise mitgetragen. Ebenso die Weitergabe des “schwarzen Peters” durch die deutsche Kapitalfraktion an “ausländische” Konzerne und den “Kasinokapitalismus”. Schliesslich wird der Weg zu einem immer autoritäreren Staat von Vielen, wenn nicht gleich eingefordert und begrüsst, so zumindest als vermeintlich notwendiges Übel akzeptiert. Die Ursachen einer zunehmend als unsicher erlebten Umwelt werden nicht als dem Kapitalismus innewohnend und aus ihm resultierend begriffen, sondern in eine äussere Ursache projiziert. Der autoritäre Staat wird als ordnungsschaffender Faktor herbeibeschworen, weil an ihm in Ermangelung einer Alternative (und deshalb auch trotz des zunehmenden Glaubenswürdigkeitsverlustes des bürgerlichen Parlamentarismus) als illusorische Interessengemeinschaft festgehalten wird. Verbleibt man in der kapitalistischen Logik, so muss man schliesslich auch deren logische “Sachzwänge” anerkennen, die vom Zwang zur Profitanhäufung diktiert werden. Man bewegt sich im Horizont des Prinzips der Konkurrenz, in dem man sich auf Kosten Anderer durchzusetzen hat.

… die Solidarität

Es ist der Kapitalismus selbst, der mögliche Bruchstellen in dieser Handlungslogik mit sich bringt. Faktisch stattfindende Widerstandskämpfe gegen die autoritäre Formierung des Staates, gegen sexistische, rassistische und antisemitische Diskriminierung, gegen die erstarkenden Nazis u.ä. sind solche Bruchstellen. Streiks und soziale Proteste sind eine weitere, an der, entgegen der Vereinzelung gemeinsam für Interessen eingestanden wird und sich solidarische Perspektiven eröffnen. Die meisten solcher Bewegungen verbleiben in ihrem punktuellen Radius, deshalb gilt es, solidarische Handlungsalternativen und -perspektiven kontinuierlich aufzubauen. Solche Perspektiven müssen über die kapitalistische Profitlogik und ihr gesellschaftliches Elend hinausweisen. In den bestehenden Verhältnissen lässt sich eine solidarische Gesellschaft schlichtweg nicht verwirklichen. Sie müssen den Charakter des bürgerlichen Staates als Kapitalinteressenvertreter denunzieren. Der Kapitalismus selbst verdrängt immer mehr Menschen aus einer gesicherten Existenz. Staatliche Diskriminierung und Repression werden tendenziell für immer mehr Menschen zur erfahrbaren Realität und bieten Ansätze hierfür.
Nicht zuletzt deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass eine breite Solidarität gegenüber den Angriffen des Staates aufgebaut wird. Die Angriffe gegen fortschrittliche Aktivitäten, gegen KommunistInnen, AnarchistInnen, AntifaschistInnen und kämpfende Lohnabhängige müssen gemeinsam zurückgeschlagen werden. Damit der Raum für gemeinsame Aktivitäten und Diskussionen um eine Gesellschaft jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung verteidigt und ausgebaut werden kann.

Linke Politik verteidigen!
Solidarität aufbauen!

Kommt zur Demonstration am 15. Juli 2006 in Stuttgart
13 Uhr Universität Stuttgart-Stadtmitte, Keplerstraße

Antirepressionsbündnis Stuttgart